Deutet in seinem Roman vieles nur an, obwohl er in klarer und präziser Sprache formuliert: Iván Sándor.

Foto: Nischen Verlag
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Die deutschsprachige Literaturgegend hat von Juli 2013 bis Juli 2014 einen einzigartigen Büchertsunami erlebt. Gleichsam täglich sind belletristische Titel und Sachbücher über das Attentat von Sarajevo, den Ersten Weltkrieg und die nachfolgende europäische Ordnung erschienen. Zu dieser überdimensionalen Literaturwoge hat ein herausragender ungarischer Schriftsteller beigetragen, nämlich der im Jahr 1930 geborene Iván Sándor, und zwar mit einem spannenden Roman über die Höllenfahrt eines als militärischer Reiter, sprich Husar, kämpfenden jungen Ungarn, der alle Fronten des "Großen Kriegs" kennengelernt hat, obwohl er eigentlich nur die Welt sehen wollte.

Die unglaublichen Abenteuer des Maturanten Ádám Kiss, die dieser in vier Jahren erlebt hat, spielen sich wie in einem mitreißenden Film ab. Sándor schildert die sinnlosen Leiden des Rekruten im Krieg, während sich die Minister "mit leicht erhobenen Köpfen weit in ihre samtgepolsterten Fauteuils zurücklehnen".

Auf einer Bildungsreise nach Paris - solche wurden auch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts unternommen - wird der fesche Reiter, der in einer ungarischen Kleinstadt aufgewachsen ist, als französischer Soldat rekrutiert. Die deutsche Gefangenschaft kann nicht fehlen, und aus dieser gelangt er mit letzter Verzweiflung in die rettende österreichisch-ungarische Armee.

Für Ádám Kiss werden unglaubliche Grausamkeiten bei den Sturmangriffen an der russischen und später italienischen Front zum traumatisierenden Alltagserlebnis. Nicht selten glaubt man bei der Lektüre, man lese nicht Geschichten, die einhundert Jahre alt sind, sondern ganz aktuelle, die sich wenige Hundert Kilometer östlich von Wien oder Budapest abspielen.

In diesem saftigen Roman fehlen Szenen, in denen sich Kiss zwischenmenschlich mit dem anderen Geschlecht trifft, keinesfalls. Vor dem Krieg "hat [er] noch nie einen nackten weiblichen Körper gesehen", und dennoch hält ihn die wegen der Abwesenheit ihres Offizierehemanns eigentlich zur Keuschheit gezwungene Liebhaberin für geübt. "Bleib noch in mir, bleib noch so ...", heißt es dann in diesem Liebes- und Todesstück.

Verbindungslinien

Iván Sándor deutet in seinem Roman vieles nur an, obwohl er mit klarer und präziser Sprache formuliert. Verbindungslinien zwischen dem "Großen Krieg" und der NS-Zeit klingen an, außerdem Rassismus und Holocaust, Schrecken, die der ungarische Jude Iván Sándor als Zeitzeuge selbst nicht erlebt, sondern erlitten hat. Gerade diese Ängste und Schocks ermöglichen es dem Autor, den Text mit einem glaubwürdigen Unterton zu schreiben. Sándor charakterisiert den rekrutierten Maturanten als geschickt sowie tapfer und manchmal als draufgängerisch, mit Eigenschaften also, die ihn zum Überleben der Schlachtgetümmel und Verwundungen qualifizieren.

Der ungarische Autor hat ein Buch geschrieben, das nicht nur den "Großen Krieg" mit seinen unmenschlich-menschlichen Erbarmungslosigkeiten und Torturen erzählt, sondern jeden, mag er nun in Afghanistan, im Irak oder in der Ukraine gekämpft werden.

Fast hat es den Anschein, als würde er "das Selbstverständliche des Sinnlosen", um es mit einem Kafka-Wort zu sagen, beschreiben wollen, was erwähnt sei, zumal Iván Sándor den Prager Großmeister gekonnt und gewitzt in seinen Roman eingewoben hat, einerseits mit der Türhüterlegende, in der ein Mann vom Land am Tor des Gesetzes scheitert. Und andererseits mit der Verwandlung sowie der Strafkolonie, wobei es im Roman heißt, dass man diese Geschichten ungefähr in der Mitte des Kriegs in einem "Münchner jüdischen Blatt" lesen konnte. Besser hätte kein Kollege Kafka in sein Buch "einbauen" können. "Hier wird jeder zum Käfer" liest man im Husaren über den Krieg ... Wie recht Iván Sándor hat!

Gegen Ende des Romans heißt es klipp und klar: "Sie müssen viel durchgemacht haben, Ádám." Es klingt wie ein Seufzer des Erzählers, der weiß, dass nach diesen vier Jahren in Europa nichts mehr ist, wie es einmal war. "Alles steht kopf. In Berlin, in Wien und in Budapest ..."

Letztlich seien noch die großartige Leistung des Übersetzers György Buda und die qualitativ hochwertige Buchdruckkunst, für die sich der Verlag entschieden hat, erwähnt. Bei den heutigen Zeitläuften keine Selbstverständlichkeit. (Janko Ferk, Album, DER STANDARD, 24./25.1.2015)