In Kleists Welt kommt alles Gute immer noch von oben: Sarah Viktoria Frick als Käthchen im Wiener Burgtheater.

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Anregung: Die Vorlage zu seinem "großen historischen Ritterschauspiel" soll Heinrich von Kleist (1777–1811) auf einem Jahrmarkt gefunden haben. Dem Schicksal des schwäbischen Käthchens dürfte eine Heilbronner Volkssage zugrunde liegen. In Deutschland wurden vielfach Druckwerke mit sagenhaftem Inhalt feilgeboten. Die Vorliebe für mittelalterliche Sujets ist kennzeichnend für die Frühromantik. Kleist dürfte es darum gegangen sein, Stoff für einen Kassenknüller aufzuspüren. Finanzielle Schwierigkeiten hatte sich der umtriebige Preuße unter anderem mit der Herausgabe der Zeitschrift Phönix eingehandelt.

Engel: Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Anknüpfung jener Beziehung, die Käthchen, angeblich Tochter eines Schmiedes, zu Graf Wetter vom Strahl unterhält. Das 16-jährige Mädchen heftet sich mit der Inbrunst eines übersinnlich inspirierten Backfischs an die Fersen des Grafen. Der weiß nicht recht, wie er sich der Zudringlichkeit durch das keusche Groupie erwehren soll. Beziehungen stiftet in Kleists Welt der Blitz. Liebe teilt sich den Figuren als bodenlose Erfahrung mit. Ihr Anspruch ist maßlos, vor ihrer Gewalt hat der Alltagsverstand zu schweigen.

Feuerprobe: "... oder die Feuerprobe", lauter der Untertitel des romantischen Schauspiels. Und in der Tat: Käthchen widersteht dem Feuer, das Schloss Thurneck zu verzehren droht, und rettet im Auftrag von Burgherrin  Kunigunde ein Bildwerk aus der züngelnden Brunst. Wiederum ist es ein "Cherub", blondgelockt und von Licht umflossen, der dem couragierten Mädchen allerhöchsten Beistand leistet.

Goethes Brandanschlag

Goethe: Man darf angesichts der zahlreichen Widersinnigkeiten, die das Käthchen so verworren machen, durchaus ins Grübeln geraten. Man muss aber wie der Weimarer Literaturgott Goethe – Kleist von jeher in inniger Abneigung zugetan – nicht gleich zum Äußersten greifen. Als sein Sekretär Riemer dem Olympier das Stück überreichte, warf es dieser nach kurzer Durchsicht ins Kaminfeuer. "Die verfluchte Unnatur", soll er übellaunig gemurmelt haben. Man darf mit Recht sagen: Kleists Käthchen hat die Feuerprobe (siehe oben) über die Jahrhunderte ganz entgegen Goethes Auffassung glänzend bestanden.

Kaiser: Wetter vom Strahl wird im Nervenfieber die Wahrheit kund, dass er eine Tochter des Kaisers ehelichen soll. Er sieht das Mädchen "im Hemde" vor sich und kann dessen Identität, seines unruhigen Traumes wegen, doch nicht lüften. Es bedarf vieler weiterer Schritte und sogar der Hypnose, um Käthchen zweifelsfrei als die gemeinte Braut zu erweisen. Die Enthüllung des Kaisers als Erzeuger des Mädchens (Fünfter Akt, zweiter Auftritt) gehört zu den Paradebeispielen literarischer Hochkomik. Zerknirscht muss der gesalbte Herr seine Vaterschaft vor den geharnischten Recken einräumen. "Beim Schein verlöschender Lampen" sei ihm in Heilbronn vor "sechszehn" (sic!) Jahren das Techtelmechtel mit der Gattin des Schmiedes passiert. Die illegitime Frucht seiner Lenden darf den Grafen Wetter vom Strahl in Empfang nehmen.

Kunigunde: Von den Reizen der reichen Burgerbin von Thurneck werden wahre Wunderdinge erzählt. Sie entgeht knapp einem Anschlag durch den Burggrafen von Freiburg und wirft sich ihrem Retter Wetter vom Strahl bereitwillig an den Hals. Es ist das junge Käthchen, das die Nebenbuhlerin als Aufziehpuppe entlarvt. Freiburg verrät deren plastisch-chirurgische Geheimnisse: "Ihre Zähne gehören einem Mädchen aus München, ihre Haare sind aus Frankreich verschrieben". Obendrein bedarf Kunigundes hinfälliger Leib der Stütze durch ein "Hemd aus schwedischem Eisen". Ein Giftanschlag der Prothesengöttin auf das arme Käthchen verpufft gottlob wirkungslos.

Theater: Das 1807/08 begonnene Stück wurde am 17.3.1810 im Theater an der Wien uraufgeführt. Kleist gab später an, es sei zu den Vermählungsfeierlichkeiten von Napoleon mit der Habsburgerin Marie Luise gelaufen. Das ist nachweislich falsch. Die Burg-Premiere am Samstag beginnt um 19.30 Uhr. Inszeniert hat David Bösch. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 24./25.1.2015)