Beim Forschungsunternehmen Fraunhofer Austria, das mit der Technischen Universität Graz kooperiert, werden immersive Umgebungen entwickelt, beispielsweise um die Planung von groß angelegten Infrastrukturprojekten zu unterstützen.

Foto: Fraunhofer Austria

Graz/Wien - Die Menschen der Zukunft werden mehr und mehr Aufgaben in virtuellen Räumen verrichten. Sie werden dort Ausbildungen absolvieren, lernen, wie man mit einem Feuerlöscher umgeht oder wie sich Atome zu Molekülen zusammenfügen. Sie werden in interaktive Spielfilme eintauchen und gemeinsam mit dem computergenerierten Figureninventar Abenteuer erleben. Und sie werden unterschiedliche Daten von Computern grafisch aufbereiten lassen - vom Zustand der Leber eines Patienten bis zur geologischen Struktur eines Bergbaugebiets.

Die Wissenschaft, die den Weg dahin bereiten will, heißt Visual Computing. "Der Begriff fasst alle Disziplinen der Informatik zusammen, die mit Bildern zu tun haben", sagt Werner Purgathofer, Leiter des Instituts für Computergraphik und Algorithmen der TU Wien und wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Virtual Reality und Visualisierung VRVis. "Es ist eine Querschnittsdisziplin, die in vielen Anwendungen zum Teil von Arbeit und Alltag werden wird." Auch in Österreich wird eifrig daran geforscht.

Sehende Computer

Visual Computing teilt sich in zwei grundlegende Bereiche: Neben jener Disziplin, die aus Informationen Bilder für den Menschen macht, konzentrieren sich die Forscher auch auf den umgekehrten Weg: Computer lehren, Informationen aus Bildern selbstständig zu extrahieren. Die sogenannte Computer Vision lässt Pflegeandroiden erkennen, wenn ein gebrechlicher Mensch stürzt. Sie zeigt Produktionsrobotern, wie sie ihr Werkstück anfassen müssen, und klärt selbstfahrende Autos über ihre Umgebung auf.

Eine Ausprägung des vielfältigen Forschungsbereichs fasst man unter Visual Analytics zusammen, für Purgathofer derzeit einer der großen Trends. Das Prinzip dahinter: Der Mensch mit seiner visuellen Auffassungsgabe kann Muster in Daten gut erkennen, wenn sie richtig aufbereitet sind. Mithilfe von Filtern, Parametern und Auswahlkriterien versucht man, große Datenmengen interaktiv zu erforschen und immer neue Zusammenhänge abzuleiten.

Wetter- oder Klimadaten seien dabei noch recht einfach darzustellen. "Die wirkliche Herausforderung ist, Daten ohne geometrische Komponente aufzubereiten", sagt Purgathofer. Das betrifft etwa Börsendaten, Informationsströme im Netz oder eine Kriminalstatistik. "Es ist wie bei einem Glaswürfel, in dem 100 schwarze Pfefferkörner eingeschlossen sind. Man kann ihn so lange drehen und von allen Richtungen betrachten, bis man ein Muster in der Anordnung der Körner entdeckt", veranschaulicht der Wissenschafter.

Ein Großteil der österreichischen Forschung im Bereich Visual Computing findet rund um die Technischen Universitäten in Wien und Graz statt, wo sich insgesamt 13 Gruppen damit beschäftigen. Neben dem VRVis ergänzt in Wien die anwendungsorientierte Forschung des Austrian Institute of Technology oder ein Standort des Hightech-Konzerns Qualcomm die Szene. In der Steiermark beschäftigt sich neben Joanneum Research das an der TU Graz angegliederte Forschungsunternehmen Fraunhofer Austria mit dem Thema. "Für die Größe des Landes hat Österreich eine auffallend große Visual-Computing-Gemeinde", sagt Purgathofer.

Der Weg zur Anwendung

Der Sprung von der Grundlagenforschung in die Praxis sei nicht leicht. "Die Umsetzung in Anwendungen heißt nicht, die letzten zehn Prozent einer Erfindung zu vollenden. Das ist ein eigener, schwieriger Zweig", sagt der Forscher. Anstelle angenommener Daten und hypothetischer Situationen kämpft man mit fehlerhaftem Datenmaterial, Hardwareunterschieden und unvorhersehbaren Benutzereingaben. "Plötzlich tauchen grüne Pfefferkörner auf, und an manchen Orten fehlen sie ganz."

Bei Fraunhofer Austria liegt ein Schwerpunkt auf immersiven Umgebungen, d. h. solchen, in die die Benutzer ganz eintauchen können. Die Forscher dort verfügen über eine sogenannte Cave, einen realen Raum, auf dessen Wände entsprechend der Position des Benutzers eine virtuelle Umgebung projiziert wird. Im Rahmen des Projekts MOVING mit der ÖBB wurde etwa am Beispiel des Wiener Hauptbahnhofs gezeigt, dass Tests in der Cave Vorteile für die Planung von Verkehrsleitsystemen haben.

"In der Aufbauzeit ist man auf Förderungen angewiesen, um sich an die Anwender in der Industrie anzunähern", sagt Eva Eggeling, Leiterin des Geschäftsbereichs Visual Computing bei Fraunhofer Austria. "Mit dem großen ÖBB-Projekt haben wir Aufmerksamkeit erregt. Die Unternehmensanfragen werden häufiger." Die Datenbrillen, die bald auf den Markt kommen, sieht Eggeling als Ergänzung zur Cave-Technologie, nicht als Konkurrenz.

Mittlerweile sei es auch für Architekturbüros leistbar, Projekte im virtuellen Raum veranschaulichen zu lassen. Sogar ein Yachtdesigner wollte bereits verschiedene Interieurs simulieren lassen. Zurzeit arbeiten die Fraunhofer-Forscher etwa im groß angelegten Projekt DURAARK an Tools, die für eine sichere Langzeitarchivierung von 3-D-Gebäudedaten sorgen.

Konkurrenz nimmt zu

Mittlerweile sei die Konkurrenz um die Fördertöpfe im Bereich Visual Computing sehr hoch, sagt Eggeling. "Es gibt immer mehr Anträge um immer weniger Fördergeld. Industriepartner werden wichtiger." Purgathofer sieht einen Grund für die heute starke Szene gerade darin, dass es schon früh eine eigene Förderschiene bei der Forschungsförderungsgesellschaft FFG gab.

Ihm zufolge sei ein wichtiger Erfolgsfaktor, dass man bereits vor über zehn Jahren Visual Computing zu einem Förderschwerpunkt der Informatik an der TU Wien gemacht habe. Mittlerweile trifft sich die heimische Szene jedes Jahr bei einem Workshop. Was die wissenschaftliche Leistung betrifft, sieht Purgathofer Wien unter den "Top drei in Europa". (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 18.2.2015)