Geht es bei den Oscars um Kunst oder um Kommerz? Meistens um die Schnittmenge zwischen beidem. Manchmal zeigt das Barometer mehr in die eine, dann in die andere Richtung. Die Spitzen-Blockbuster des Jahres, nach Einspielergebnissen gemessen, werden bei den Oscars nur alle paar Jahre honoriert – das waren in den letzten 20 Jahren etwa "Titanic", "Avatar", "Herr der Ringe" – und sind sonst außer in den technischen Kategorien eher wenig vertreten.

Dasselbe gilt allerdings für wirklichen künstlerischen Wagemut, der ebenso selten unmittelbar vertreten ist. Der braucht ein bisschen Zeit, bis er sich nach Hollywood herumspricht. Ein besseres Barometer für künstlerische Ausnahmeleistungen sind etwa die Filmfestspiele von Cannes, die bei ihrer Preisvergabe nicht so stark auf etabliertes setzen. Bei den Oscars wird ein innovativer Regisseur wird oft nicht für erste Werke ausgezeichnet, die die Filmkunst nachhaltig beeinflussen, sondern kommt erst Jahre später zu Ehren, wenn er als etabliert gilt. Kandidaten für diese Ehre wären dieses Jahr zum Beispiel Wes Anderson und Richard Linklater. In der bald 100-jährigen Geschichte der Oscars hat übrigens erst ein Mal (!) eine Frau einen Regie-Oscar gewonnen: Kathryn Bigelow für "The Hurt Locker".

Nominiert wird "Arthouse-Mainstream"

Was sich in der Auswahl der Oscarnominierungen findet, lässt sich am besten mit "Arthouse-Mainstream" zusammenfassen. In der Liste der am amerikanischen Boxoffice erfolgreichsten Kinofilme des Jahres finden sich die meisten Favoriten im Mittelfeld. Der Abstand zu den wirklichen Kassenknüllern ist dabei teilweise schon enorm: Der als großer Favorit geltende Film "Birdman" ist mit ca. 36 Millionen Dollar Einspielergebnis zwar sicher kein Nischenprodukt, hat aber gerade mal rund ein Zehntel des erfolgreichsten Films (der aktuelle Teil der "Tribute von Panem" mit ca. 336 Millionen Dollar) eingespielt.

Marketingtool für Filme und Stars

Die Oscars sind auch ein Marketingtool für Filme wie für Stars, und aus dieser Sicht natürlich Kommerz. Vor allem aber geht es bei den Oscars um Politik – um die Politik der Filmbranche. Die Preise spiegeln den Zeitgeist, sie zeigen Machtstrukturen auf, welche Innovationen und Newcomer die Filmbranche honoriert, wer als "etabliert" gelten darf und auf welches Pferd man gerade setzen möchte.

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Zum 87. Mal werden am Sonntag die Oscar-Gewinner gekürt.
Foto: REUTERS/Robert Galbraith

Wer vergibt die Oscars?

Die Oscars vergibt die Academy of Motions Picture Arts and Sciences, die im Grunde ein Verband der amerikanischen Filmschaffenden ist. Die amerikanische Filmwirtschaft feiert bei den Oscars also sich selbst. Und weil sie immer noch die produktivste und wichtigste der Welt ist, gelten die Oscars als der wichtigste Filmpreis der Welt.

Trotzdem repräsentieren sie eigentlich nur einen Teil des Systems Film, das über ein Zusammenspiel aus drei Säulen funktioniert:

  • Die Filmschaffenden (Studios, Produzentinnen und Produzenten, Regisseurinnen und Regisseure, bis hin zu Kostüm und Sounddesign),
  • die Filmvermittelnden (Filmkritikerinnen und -kritiker, Kinobetreiberinnen und -betreiber, Verleih und Vertrieb) und last but not least
  • die Filmrezipientinnen und Filmrezipienten.

Die Filmkritik hat ihre eigenen Preise – die Golden Globes oder die Critics’ Choice Awards – und das Publikum vergibt seine Auszeichnungen in erster Linie am Boxoffice, also an der Kinokasse.

Wie wird man für einen Oscar nominiert?

Zur Teilnahme qualifiziert sind alle Filme, die im Bezirk Los Angeles County im vergangenen Jahr erstmals und mindestens sieben Tage lang in einem öffentlichen Kino gegen Entgelt gezeigt wurden. Aus der Liste all dieser Filme wählt die Academy fünf Nominierungen in jeder Kategorie und die bis zu zehn Nominierten für die Kategorie "Bester Film" aus.

Über die Nominierungen entscheiden die Vertreter des eigenen Berufsfelds in der Academy, das heißt die Kostümbildnerinnen und Kostümbildner entscheiden nur über die fünf Nominierten in ihrer eigenen Kategorie. Für die wichtigste Kategorie "Bester Film", die an die Produzentinnen oder Produzenten des Films geht, dürfen alle Mitglieder eine Favoritenliste abgeben.

Dem Nominierungsprozedere gehen keine eigenen Screenings voran. Das bedeutet vor allem für die Kategorie "Bester Film", dass die meisten Chancen auf eine Nominierung jene Filme haben, die in der eigenen Branche auch am publikumswirksamsten waren – der besagte "Arthouse-Mainstream". Denn natürlich kann keiner der Mitglieder alle Filme gesehen haben, die sich für die Liste qualifiziert haben. Dafür kann man davon ausgehen, dass Filmschaffende besonders Filme ansehen, die für ihr eigenes Berufsfeld von besonderem Interesse sind und die Nominierungen in den eigenen Kategorien daher eine gewisse Treffsicherheit haben.

Kampagnisierung der Filmstudios

Den Nominierungen geht ein massives, von den Filmstudios betriebenes "Campaigning", also Werbekampagnen, voran. Es werden Anzeigen in Branchenblättern wie "Vanity Fair" oder "Variety" geschalten, die Filme "for your consideration" vorschlagen, um sie ins Bewusstsein der Branche zu heben. Die großen Studios entscheiden sich dabei oft für wenige Filme, die sie propagieren, um ihre eigenen Produkte nicht zu kannibalisieren. Dabei wird gerne auf Nummer Sicher gesetzt und dem zitierten "Arthouse-Mainstream" der Vorzug gegeben. So mancher gute Film muss schon in diesem Prozedere dran glauben und kann nur noch auf Glück hoffen. Andererseits haben manchmal auch Außenseiter Chancen, wenn sich ein Mächtiger für sie ins Zeug legt. Ein Film wie "The Artist", der große Gewinner von 2012, ein französischer, schwarz-weißer Neo-Stummfilm, hätte womöglich keine Chancen gehabt, hätte nicht Super-Produzent Harvey Weinstein sein ganzes Gewicht in den Ring geworfen.

Wer wählt die Gewinner?

Die Gewinner jeder Kategorie wählen alle Mitglieder der Academy. Darüber, welche der fünf nominierten Schauspielerinnen die Trophäe gewinnt, entscheiden also auch Kostümbildnerinnen und -kostümbildner, Produzentinnen und Produzenten, u.s.w., und damit womöglich auch Mitglieder, die über wenig Fachwissen in der jeweiligen Kategorie verfügen.

Die Academy besteht aus über 6000 Mitgliedern. Teil der Jury kann man ausschließlich durch eine Einladung werden, von denen die Academy jährlich einige aussendet. Um eingeladen zu werden, ist es zwar hilfreich selbst einen Oscar gewonnen zu haben, aber nicht zwingend, und es gibt auch keinen Automatismus. Es ist davon auszugehen, dass die bekanntesten und mächtigsten Persönlichkeiten Hollywoods alle Mitglieder der Jury sind. Die Academy wurde 1927 hauptsächlich von den großen Studiobossen gegründet – es ist anzunehmen, dass die hinter den Kulissen nach wie vor viel Macht haben.

Zwischen Nominierung und Voting geht die Kampagnisierung natürlich weiter: Jetzt geht es darum, die Mitglieder der Jury zu überzeugen, die "richtige" Stimme abzugeben. Es werden für jeden nominierten Film DVDs, "Screener", an Jurymitglieder ausgesandt, oft in Kombination mit Geschenkpaketen. Denn noch immer haben nicht alle Jurymitglieder alle Filme gesehen. Dem versuchen Verleiher Abhilfe zu verschaffen, indem sie luxuriöse Screenings veranstalten, bei denen Jury-Mitglieder mit persönlichen "Meets and Greets" mit den Stars verhätschelt werden, die ihre Haut zu Markte tragen.

Dirty Campaigning

Negativ-Kampagnen sind ebenso Teil des Spiels. 2009 wurde beispielsweise das Gerücht in die Welt gesetzt, dass bei den Dreharbeiten zu "Slumdog Millionaire" in Indien die einheimische Bevölkerung rücksichtslos ausgebeutet wurde. Trotz dieses Rummels darf man annehmen, dass sich manches Jurymitglied, besonders in den Nebenkategorien, gerne aufs Hörensagen verlässt. Die große Kunst der PR-Maschinerie besteht daher darin, eine Nominierte, einen Nominierten im Gespräch zu halten. Wie bei politischen Wahlen kann das Stimmungsbarometer natürlich auch zu Ungunsten von Nominierten ausfallen, deren Stimme man für "verloren" hält.

Welche Filme werden durch das Prozedere bevorzugt?

Auch die Academy hat ein Kurzzeit-Gedächtnis: Filme, die in der ersten Jahreshälfte gestartet sind, sind bei den Nominierungen traditionell unterrepräsentiert. Wer ernsthaft eine Oscar-Nominierung anstrebt, legt einen US-Kinostart in der zweiten Jahreshälfte fest.

Genrefilme haben es nach wie vor schwer bei den Oscars, ihnen haftet immer noch ein wenig der Geruch von spekulativ produzierter Billigware an. Für eine künstlerische Profilierung fehlt ihnen in den Augen der arrivierten Oscar-Jury der Ernst. Ausnahmen wie "Das Schweigen der Lämmer" oder "Gravity" bestätigen die Regel. Horror oder Slapstick haben kaum eine Chance, nur Romantic Comedy scheint einen Bonus zu haben.

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Mit sieben Oscars ausgezeichnet: "Gravity"
Foto: AP/Warner Bros. Pictures

Auch wegweisende Genrefilme der Filmgeschichte blieben ganz ohne Nominierung, wie "The Shining", "Terminator", "Blade Runner" oder "Scarface". Kurioses Detail am Rande: "Scarface" und "Shining" waren sogar für den Schmähpreis "Goldene Himbeere" nominiert, letzterer hat ihn sogar "gewonnen".

Auch das Grelle kommt bei der Academy nicht gut an, es ist daher klar, dass Publikumslieblinge wie "The Rocky Horror Picture Show", "Starship Troopers" oder "Hairspray" bei den Oscars nicht mal angestreift sind, was sie nicht weniger relevant macht.

Das Grellste bei den heurigen Oscars

Wes Andersons "Grand Budapest Hotel", diesjähriger Favorit im Rennen, ist vielleicht das Grellste, was die Oscars derzeit vertragen. Sogenannte amerikanische Independent-Filme haben dafür heute weit bessere Chancen als früher, vor allem, weil es sie im Grunde kaum mehr gibt. Die großen Studios haben sich die meisten Independent-Produktionen in den letzten Jahren zunehmend einverleibt, zumindest auf dem Vertriebsweg.

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Szene aus "Grand Budapest Hotel".
Foto: AP/Fox Searchlight Films, Martin Scali

Gesellschaftspolitische Botschaften

Gerne verknüpft die liberale Filmbranche ihren Preisregen in regelmäßigen Abständen mit einer gesellschaftspolitischen Botschaft, zum Beispiel in Richtung Meinungsfreiheit, amerikanische Politik, Schwulenrechte, Anti-Rassismus. An der diesjährigen Nominiertenliste wurde oft kritisiert, dass sie keine einzige Afroamerikanerin, keinen einzigen Afroamerikaner in den Hauptkategorien enthält – wobei "Selma" immerhin für den besten Film nominiert wurde. Das legt nahe, dass die politische Botschaft manches Mal genauso wichtig ist wie die künstlerische "Leistung". Und das ist bei einer öffentlichkeitswirksamen Veranstaltung wie den Oscars auch gut so.

Aus naheliegenden Gründen hat die Branche auch Filme gern, in denen es um die Branche selbst geht. Dieses Jahr liegt "Birdman" vorne im Rennen, 2012 hat "The Artist" abgeräumt.

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Michael Keaton in "Birdman".
Foto: AP/Fox Searchlight, Atsushi Nishijima

Es wird viel darüber spekuliert, warum einzelne Schauspielerinnen und Schauspieler, wie Leonardo DiCaprio oder Jake Gyllenhaal, immer wieder übergangen werden, die doch als die besten ihrer Generation gelten. Im Zusammenhang mit den oft kuriosen Mechanismen des "Campaigning" erscheint es gar nicht unwahrscheinlich, dass sich diese einfach mit den falschen Leuten angelegt haben.

"Citizen Cane", der heute als einer der Filmkassiker schlechthin gilt, konnte etwa trotz neun Nominierungen nur eine einzige Auszeichnung (Originaldrehbuch) abstauben. Jede Erwähnung des Films, sowie Orson Welles Dankesrede, wurde bei der Verleihung von Buhrufen im Publikum begleitet. Das wurde von bösen Zungen auf eine Negativ-Kampagne des Medien-Tycoons William Randolph Hearst, Vorbild für die Figur in "Citizen Cane", zurückgeführt. Wenn die Spekulationen nicht stimmen, sind sie zumindest sehr glamourös.

Welche Rolle spielen ausländische Filme bei den Oscars?

Entgegen der landläufigen Meinung spielt die Originalsprache eines Films keinerlei Rolle für dessen Nominierung. Wer potenziell nominierbar sein will, muss lediglich in L.A. in einem bestimmten Zeitraum im öffentlichen Kino gespielt worden sein. Allerdings ist die amerikanische (intellektuelle) Öffentlichkeit noch träger als die deutschsprachige: Nicht synchronisierte Filme haben in L.A. (im Gegensatz zu New York) wenig Chancen auf einen Kinostart. Daher sind britische Filme immer wieder prominent bei den Oscars vertreten (zuletzt "The King's Speech" und "The Queen").

Überraschend viele fremdsprachige Filme schaffen es aber trotzdem auf diesem, manchmal synchronisierten Weg in die Kinos von Los Angeles. Durch dieses Hintertürchen ist es manchen europäischen Filmen auch möglich, Nominierungen abseits des "Besten fremdsprachigen Films" einzuheimsen. Auf diesem Weg waren Penelope Cruz für "Volver" und Catherine Deneuve für "Indochine" als "beste Darstellerinnen" nominiert, Michael Hanekes "Liebe" schaffte es in gleich fünf Kategorien. Außerhalb der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film" zu gewinnen, hat sich in der Geschichte der Oscars jedoch als sehr unwahrscheinlich erwiesen.

Emmanuelle Riva in Michael Hanekes Film "Liebe".
Foto: X-Verleih

Für den "besten fremdsprachigen Film" kann jedes Land der Welt einen Film einreichen, aus dieser Liste wird eine gekürzte "Shortlist" erstellt, aus der wiederum ein eigenes "Foreign Language Film Award Executive Committee" die Nominierten auswählt. Das Prinzip ist wieder dasselbe, inklusive Lobbying. Ein starker amerikanischer Vertrieb ist hilfreich.

Schreiben die Oscars Filmgeschichte?

Jede Generation hat ihre Oscarauftritte, die in Erinnerung bleiben. Marlon Brando, der sich seinen Oscar 1973 in Vertretung einer Indianerin abholen ließ. Das wütende politische Plädoyer von Michael Moore im Post-9/11-Amerika, das vom Orchester abgeschnitten wurde. Cher, die 1988 nach jahrzehntelanger Geringschätzung als Schlampe der Entertainmentindustrie ihren Oscar sehr würdevoll in einem praktisch durchsichtigen Kostüm entgegennahm. Roberto Benignis hysterische Kussorgie nach seinem Gewinn für "Das Leben ist schön".

Sieht man die Liste der Gewinner in der Kategorie "Bester Film" oder die Liste der Filme mit den meisten Oscars an, hat man als kinointeressierter Mensch tatsächlich fast alle irgendwie in Erinnerung – allerdings nicht alle in bester. Einige große Klassiker der Filmgeschichte hingegen haben die Oscars nicht einmal von hinten gesehen. Dazu zählen nicht nur Genre- und Independentfilme sondern zum Beispiel auch Charlie Chaplins "Moderne Zeiten", David Finchers "Fight Club" oder Abel Ferraras "Bad Lieutenant". Meilensteine der Filmgeschichte waren zwar nominiert, gingen aber leer aus, wie "Taxi Driver", "Psycho", "Der große Diktator" oder "Denn sie wissen nicht, was sie tun". Andere wurden mit Nebenpreisen abgespeist, wie "Manche mögen's heiß" (bestes Kostüm), "Der Zauberer von Oz" (bester Song) und "2001 – Odyssee im Weltraum" (beste Spezialeffekte).

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Charlie Chaplins "Der große Diktator", 1940.
Foto: ap/Columbia Pictures

Wenn man sich die nominierte Konkurrenz anschaut, wirken die Entscheidungen der Academy im Nachhinein manchmal etwas kurzsichtig. 1999 gingen gleich zwei Kostümfilme ins Rennen: Der zweifellos nette Crowdpleaser "Shakespeare in Love" gewann sieben von dreizehn Nominierungen darunter Gwyneth Paltrow als beste Darstellerin), während "Elizabeth" mit Cate Blanchett in ihrer legendären ersten Rolle bei sieben Nominierungen mit einem Trostpreis für das beste Make-up abschnitt. Aus heutiger Sicht kann kein Zweifel mehr bestehen, welcher der beiden Filme der nachhaltigere war. Ebenso 1959, als "Die Katze auf dem heißen Blechdach", sechs Mal nominiert, leer ausging – der große Abräumer des Abends war "Gigi". Auch die Liste der großen Schauspielerinnen, Schauspieler, Regisseurinnen und Regisseure, die niemals Oscars erhalten haben, ist lang.

Wird Filmgeschichte von den Gewinnern geschrieben?

Die Oscars helfen natürlich, gewisse Filme in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen und leisten daher einen wesentlichen Beitrag zur Legendenbildung. Aber was unter dem Strich Filmgeschichte schreibt, entsteht weiterhin vor allem aus dem kollektiven Gedächtnis vom eingangs beschriebenen Konglomerat aus Filmschaffenden, Filmvermittelnden und Publikum.

Was bringen die Oscars?

Für das Publikum vor allem Spektakel, Glamour und lustigen Wettspaß. Filmschaffenden bringt ein Oscar-Gewinn (und manchmal auch schon eine Nominierung) eine temporäre Steigerung ihres Marktwertes. Womit wir wieder beim Thema Marketing wären. Wenn ein Studio oder ein Filmverleiher auf einem Filmplakat oder auch nur einem DVD-Cover mit der Bezeichnung "Oscar-GewinnerIn XY" werben möchte, lässt sich das die Academy für jede Erwähnung mit fürstlichen Tantiemen entlohnen. Was die Gewinnerinnen und Gewinner dann aus dem Karriereboost machen, ist eine andere Sache und führt langfristig nicht zwingend zu einer größeren, besseren Karriere. Die richtigen Entscheidungen für Folgeprojekte sind ausschlaggebend, ob der Oscar-Hype gehalten werden kann.

Wenn eine Meryl Streep zum gefühlten hundertsten Mal gewinnt, oder endlich (!) eine Cate Blanchett, oder dieses Jahr vielleicht endlich (!) Julianne Moore, kann das allerdings den Marktwert dieser Schauspielerinnen kaum noch steigern, gelten sie doch ohnehin schon als die besten und bestbezahlten ihrer Generation. Da darf man sich natürlich über die "amtlich gemachte" Anerkennung freuen und dieser Glamourfaktor ist für die Veranstaltung notwendig.

Mehr noch freuen sollte man sich aber, wenn Newcomer oder ewige Nebendarstellerinnen und Nebendarsteller ins Rampenlicht geholt werden – für sie bedeutet ein Oscar-Gewinn eine echte Chance. Jennifer Lawrence erschien definitiv durch die Oscar-Aufmerksamkeit für "Winter's Bone" auf der kommerziellen Landkarte, Colin Firth hat sein Oscar-Gewinn für "The King's Speech" aus der zweiten Reihe herausgeholt.

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Ein Oscar für "Boyhood"?
Foto: AP/IFC Films

Das Prinzip lässt sich auch auf die Filme umlegen, die natürlich in Folge eines Oscar-Gewinns einen weiteren Zuschauerandrang zu erwarten haben. Das ist sicher auch für Kassenschlager wie "Der Herr der Ringe" erfreulich. Aber das cinephile Herz schlägt höher, wenn kleine, feine Filme auf diesem Weg ein breites Publikum finden, das sonst unmöglich gewesen wäre. Deshalb schlägt mein Herz bei der diesjährigen Oscar-Verleihung ganz besonders für "Boyhood" – ein kleiner Film, der eigentlich riesengroß ist. Doch wie sagte Oscar-Preisträgerin Helen Mirren einst so schön? "It's very clear in a sprint or marathon who's best. But there is no such thing as 'best' in the world of art. It's not a race." (Paul Ertl, derStandard.at, 20.2.2015)