Bild nicht mehr verfügbar.

In Istanbul haben am 21. Februar Männer in Röcken dagegen protestiert, Frauen die Schuld an sexueller Gewalt zuzuschieben.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

Bild nicht mehr verfügbar.

Konkreter Anlass war der Mord an der 20-jährigen Ozgecan Aslan.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

"Papa, hör doch mal: Die Männer ziehen sich Röcke an, genau wie du!" Ich sitze mit meiner neunjährigen Tochter im Auto und höre Nachrichten. Eigentlich habe ich bis vor kurzem versucht, sie von den tagtäglichen Berichten über Schrecknisse im Sekundentakt fernzuhalten. Aber seit sie in ihrer Klasse eine von wenigen war, die über den kriegerischen Konflikt in der Ukraine nicht Bescheid wusste, hat sie darum gebeten, dass ich nicht mehr das Radio ab- oder umschalte, wenn Nachrichten laufen.

Rock gegen Gewalt

Ich fand das plausibel. Und nun bin ich dankbar, dass sie von dem Bericht nur den Schluss mitbekommen hat: Männer in Röcken. Warum die Männer so gekleidet auf die Straße gehen, möchte sie von mir erfahren. Ob ich das nicht wisse, fragt sie mich, weil ich ihr schon häufiger davon erzählt habe, dass und warum Männer Röcke tragen. In manchen Gegenden der Welt ist das einfach so üblich. In Schweden tragen Lokführer sie, weil man ihnen selbst bei größter Hitze verboten hat, Shorts zu tragen, aber von Röcken nie die Rede war. Und in Frankreich trägt Mann sie, um ein Zeichen gegen Diskriminierung und Sexismus zu setzen.

Warum jetzt Männer in der Türkei Röcke tragen, könnte ich ihr auch erzählen. Aber bin ich sprachlos. Gerade weil ich es weiß, will ich ihr dazu nichts sagen. Stattdessen erzähle ich es Ihnen:

Eine junge türkische Frau ist auf dem Nachhauseweg von einem Busfahrer brutal ermordet worden. Nachdem es ihm aufgrund ihrer Gegenwehr misslungen war, sie zu vergewaltigen, stach er sie mit einem Messer nieder und versuchte anschließend die Leiche mit der Hilfe seines Vaters und eines Cousins in einem Flussbett zu verbrennen. Tausende gingen auf die Straße, um ihrer Wut und ihrer Trauer Luft zu machen. Im Internet versammelten sich unter dem Hashtag #sendeanlat ("Erzähl auch du es") Frauen, die von alltäglichen Übergriffen auf sie berichten.

Und auch Männer mischen sich unter die Protestierenden. Weil Gewalt gegen Frauen in der Türkei und anderswo Methode hat. Weil sie es satthaben, dass ihre Freundinnen, Schwestern, Mütter, Töchter, Lehrerinnen, Bekannten und Mitmenschen misshandelt, verletzt und umgebracht werden. Sie ziehen sich Miniröcke und Kleider an, weil genau diese Art der Kleidung nicht nur in der Türkei zum Anlass genommen wird, um die Verantwortung für sexualisierte Gewalt von den Tätern auf die Opfer abzuwälzen. Sie tragen sie, weil es auch in ihrem Land als opportun gilt, von Frauen schickliches Verhalten zu verlangen, damit sie die Männer sexuell nicht zu sehr reizen. Und wenn es nicht gerade um unsittliche Kleidung geht, dann wird Frauen auch schon einmal vom türkischen Vizepremierminister für Telefongespräche der Mund verboten und ihnen geraten, sie mögen bitte nicht in der Öffentlichkeit lachen – wegen der Tugendhaftigkeit natürlich.

Mach doch die Bluse zu

Und bevor wir jetzt anfangen, solche absurden Forderungen ob der geografischen wie kulturell-religiösen Distanz zur Türkei als lächerlich rückständig abzutun, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass vor zwei Jahren, mitten im #aufschrei, sehr erfolgreich die Forderung aufgestellt wurde, frau möge doch zwecks Vermeidung von Sexualisierung und Übergriffigkeit einfach ihre Bluse zumachen.

Sehr viele Menschen stimmten dem zu. Nicht etwa unser gesellschaftlicher Umgang mit Sexualität, Geschlechtern und Menschen müsse überdacht werden, sondern das Verhalten von Frauen. Wieder einmal. Frauen als Schuldige. Gelegenheit macht Täter. Und wenn frau nicht zum Opfer werden will, kann sie ja etwas tun. Dann mach doch die Bluse zu! Schmink dich nicht so grell. Geh nicht im Minirock auf die Straße. Fahr nicht nachts noch mit einem öffentlichen Verkehrsmittel. Komm bloß nicht auf die Idee, dich als Frau irgendwo sicher zu fühlen. Und glaub ja nicht, dass dein Körper auch nur eine Sekunde lang dir gehört.

Ich habe schon länger keinen Rock mehr getragen. Mein Sohn braucht keine Hilfe mehr, er setzt seinen Wunsch, Röcke und Kleider zu tragen, genau dort und auf die Art und Weise um, die ihm richtig erscheint. Aber ich habe den Eindruck, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, ihn wieder einmal anzuziehen und meiner Tochter in Ruhe zu erklären, was in der Türkei passiert ist und warum Männer dort gerade Röcke tragen. Nicht weil es irgendwo im Radio läuft und ich gar keine andere Wahl habe, sondern weil sie es wissen muss. Weil immer noch zu viele Männer auf Frauen starren und ungehalten werden, wenn etwas anderes passiert, als sie sich vorgestellt haben. Weil noch nicht genug Männer Röcke tragen.

Weil Röcke tragen allein nicht reicht. (Nils Pickert, dieStandard.at, 25.2.2015)