Die Rabtaldirndln fragen sich unter anderem: Kann man der Heimat entkommen?

Foto: brut/Nikola Milatovic

Das Rabtal gibt es nicht. Es ist ein fiktiver Ort auf dem Land, ein vielleicht finsteres Tal, aus dem die Rabtaldirdln, ein Grazer Theaterkollektiv aus fünf Frauen, kommen. Um das Spannungsfeld aus Stadt, Land, patriarchalen Strukturen und übernommenen Frauenbildern kreisen viele Stücke des Kollektivs: In "Du gingst fort", das am Mittwoch im Wiener Brut uraufgeführt wurde, beschäftigen sich Rosi Degen, Barbara Carli, Gudrun Maier, Bea Dermond und Gerda Strobl mit der Frage: Warum gehen die Besten fort? Und: Kann man der Heimat entkommen?

Am Anfang des Stücks steht eine These: Graz ist eine Stadt. "Wir waren da nicht so sicher", erzählt Barbara Carli, "haben uns aber darauf geeinigt als Arbeitshypothese." Ist es schon Migration, wenn man aus Feldbach nach Graz siedelt? Und sind die vielen Deutschen in Österreich alle Wirtschaftsflüchtlinge? Die Rabtaldirndln gehen immer von Fragen aus, die sie beschäftigen. "Sie wurzeln in unserer Lebensrealität, wir haben also keinen strategischen Zugang", erklärt Carli. Als "bodenständigen Feminismus" bezeichnet es Rosi Degen. "Wir machen Theater, gerade auch für Männer", betont Carli.

Fahndungsformat

Für "Du gingst fort" haben die Rabtaldirndln ein "Fahndungsformat" entwickelt, das an die TV-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" angelehnt ist. Die Frauen fahnden exemplarisch nach vier real existierenden Personen, die ihrer Heimatgemeinde den Rücken zugewandt haben. "Wir haben mit denen ungesteuerte Interviews auf Basis von 30 Begriffen geführt", erklärt Carli. "Kernöl", "Heimat" oder etwa "Zahnarzt" standen zur Disposition. "Gerade Zahnarzt war ergiebig", sagt Degen lachend. Wenn jemand schon alles gewechselt habe, bleibe er manchmal doch immer seinem Zahnarzt treu.

Auf Basis der Interviewtranskripte haben die Rabtalndirdndln eine szenische Collage entwickelt, die wie "Aktenzeichen XY" mit Einspielungen arbeitet. Ähnlich wie bei ihrem Stück "Schwarze Wolle", in dem sie sich mit verstecktem Katholizismus beschäftigt hat, wittern sie auch in Sachen Heimat antrainierte Verhaltensweisen, die sich nicht so leicht abschütteln lassen. "So wie es nicht hilft, einfach nur aus der Kirche auszutreten, werden wir gelernte Strukturen nicht einfach durch Landflucht los", sagt Rosi Degen.

Dabei stünde gar nicht so sehr das Abschütteln der Heimat als die Frage nach den eigenen Sehnsüchten im Fokus: "Woran liegt es, dass wir selbst weggegangen sind oder eben nicht? Warum haben wir uns nicht getraut?", fragt Degen. Persönliche Entscheidungen stehen dabei genauso auf dem Prüfstand wie formale Fragen der szenischen Aufbereitung: "Wir machen kein Kabarett", unterstreicht Degen. Diese Erwartungshaltung habe schon zu Enttäuschungen geführt.

Kein Zurück zur Natur

Die Rabtaldirndln improvisieren nicht. Das unterscheidet sie unter anderem vom Grazer Theater im Bahnhof (TiB), in dem sie proben dürfen. "Das TiB ist extrem wichtig für die gesamte Grazer Offszene", sagt Carli, "aber unser Fokus ist allein schon anders, weil wir fünf Frauen sind." "Zurück zur Natur" sei für sie ein "feministischer Rückschritt". "Wir halten nichts von Marmeladeeinkochen", sagen sie. Das haben sie auch schon mit dem Stück "Einkochen" bewiesen, das den Best-off-Styria-Theaterlandpreis 2014 erhalten hat.

"Du gingst fort" changiert also zwischen Stadt, Land und dem fiktiven Rabtal, einem Zufluchtsort, der, so Carli, "natürlich auch keine Lösung ist". "Das Kollektiv ist eine Lüge, es bröckelt", sagt sie und lacht. "Wir schenken uns nichts." (Tanja Paar, dieStandard.at, 25.2.2015)