Sushila Mesquita (li.) promovierte 2011 in feministischer Philosophie in Basel, Birgit Sauer 1993 in Politikwissenschaft in Berlin.

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UniStandard: Welchen Stellenwert hat feministische Wissenschaft in Wien und wie hat er sich in den letzten Jahrzehnten verändert?

Birgit Sauer: Man kann in der feministischen Wissenschaft zwei Ebenen ausmachen: die feministische und Genderforschung in den einzelnen Disziplinen und auch die Genderforschung als eigene Disziplin. Hier hat sich viel getan – vor allem von 1970 bis 1990. An der Universität Wien wurde – wie auch an anderen Universitäten – das Referat Genderforschung gegründet und in einzelnen Fächern wurden Professuren für feministische Wissenschaft geschaffen – an der Universität Wien etwa in der Philosophie, Geschichte und Politikwissenschaft. An der Medizin-Uni gibt es inzwischen eine Professur für Gendermedizin, an der Wirtschaftsuni eine für Gender und Diversity Management. Mit der Pensionierungswelle der letzten Jahre kam es zu einem Kampf um diese Professuren. Ihn hat die feministische Wissenschaft an der Universität Wien oft verloren.

UniStandard: Mit welchen Folgen?

Sauer: In der Philosophie wurde die feministische Professur nicht nachbesetzt, und auch die Nachbesetzung der Professur von Eva Kreisky, der Pionierin der feministischen Politikwissenschaft, ist ungewiss. Auch mit der Genderprofessur, die letzte Woche ausgelaufen ist, hat die Universität ein halbherziges Zeichen gesetzt. Es gibt einen Masterstudiengang Gender Studies, der ohne Professur dasteht – das ist ein Witz. An der Universität Wien gibt es in diesem Feld mehr Kämpfe als an anderen Universitäten, auch wegen der prekären finanziellen Lage.

UniStandard: Ist die Lage für feministische Wissenschaften seit den 90er-Jahren prekärer geworden?

Sushila Mesquita: Auf jeden Fall. Wir können uns auf dem Erkämpften nicht ausruhen, dieses Forschungsfeld wird immer wieder infrage gestellt. Das ist sehr kräftezehrend. Auch die Kürzungen im außeruniversitären Bereich hatten massive Auswirkungen auf die feministische Wissenschaft. Es gibt sehr wenige Stellen für Nachwuchswissenschafter, und es fehlt die Kontinuität: Es gibt ein Erweiterungscurriculum für Bachelor-Studierende, es gibt seit fast zehn Jahren den Master, aber kein Doktoratsprogramm und keine Postdoc-Stellen.

Sauer: Es ist keine langfristige Strategie der Etablierung von Geschlechterforschung erkennbar. Und es ist nicht nur die Institutionalisierung prekär, auch das Thema ist in vielen Disziplinen randständig – vor allem in Österreich. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG hat sich vor fünf Jahren ein Genderprogramm verordnet, sodass eine Reflexion über das Thema in allen Forschungsanträgen präsent sein muss. Beim österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gibt es nichts dergleichen und auch niemanden, der sich für das Thema engagiert.

UniStandard: Wer müsste sich in Österreich dafür einsetzen, dass feministische Wissenschaft mit mehr Kontinuität verankert wird?

Sauer: Das ist zunächst Aufgabe der Fakultäten. In vielen Fächern haben zunächst Studierende gesagt, dass sie das wollen, schließlich haben auch Nachwuchswissenschafter in diesem Forschungsfeld Karriere machen wollen. Auch die Universitätsleitung ist dann gefordert.

Mesquita: Auch ich sehe letztendlich die Universitätsleitung in der Verantwortung. Durch die Umstellungen des Bologna-Prozesses ist es zu einer totalen Erschöpfung der Kräfte gekommen, die vorher aktiv waren – vor allem der Mittelbau und die Studierenden.

Sauer: Die Reform ist durch eine krasse Zeit- und Wissensvernichtung gekennzeichnet. Die Verwettbewerblichung macht es besonders schwierig für kritische Wissenschaften. Es gibt einen extremen Rechtfertigungs- und Produktionsdruck: für die Genderforschung ist dieser noch größer, weil sie am Rand steht und nicht so leicht in hochgerankten Journals unterkommt.

UniStandard: Wie ist das Verhältnis der feministischen Wissenschaft zur Realpolitik? Ist das klassische Bild der objektiven Wissenschaft, die sich nicht persönlich involviert, bei den Gender Studies noch haltbar?

Mesquita: Es ist einer der wichtigen Beiträge der feministischen Wissenschaft, nachzuweisen, dass es keine objektive Wissenschaft gibt, sondern dass sie immer mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen verwoben ist. Die Kritik, dass Gender Studies Ideologie seien und keine objektive Wissenschaft, finde ich daher sehr naiv. Wissenschaft ist in diesem Sinne immer politisch. Theorie und Praxis lassen sich nicht trennen. Genderforschung ist nicht nur irgendein Spezialwissen, das geht alle an und ist kein reines Frauenthema.

Sauer: Es gibt Versuche, die feministische Wissenschaft zu diskreditieren und sie hinauszudefinieren aus dem, was als Wissenschaft gilt. Umgekehrt sind aber die Unis immer mehr dazu aufgerufen, sogenannten "Outreach" in die Gesellschaft zu betreiben. Das gilt nun als ganz innovativ. Nur, wenn die Genderforschung das macht, wird es als Ideologie bezeichnet.

UniStandard: Ist die feministische Wissenschaft auch außerhalb der Uni mit zunehmendem Gegenwind konfrontiert?

Mesquita: Ich glaube, der war immer schon da, aber in den letzten Jahren spüre ich ihn noch stärker, auch in den Mainstream-Medien. Meine Studierenden fragen immer öfter nach Argumentationsstrategien, weil sie mit der Frage konfrontiert sind, warum sie das studieren und ob das überhaupt eine Wissenschaft sei.

Sauer: Diese Dynamik hat in den letzten fünf Jahren extrem zugenommen. In Österreich ging das Gender-Bashing vor allem von Rechten und der Väterrechtbewegung aus. Ich merke auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen an der Uni, dass sie sich für ihre Arbeit viel mehr rechtfertigen müssen als in anderen Disziplinen. Jemand, der quantitative Forschung mit fixen Variablen wie Mann und Frau betreibt, muss das weniger als jemand, der diese Kategorien infrage stellt.

UniStandard: Sie gehören zwei unterschiedlichen wissenschaftlichen Generationen an – was hat sich geändert?

Mesquita: Für mich war es extrem wichtig, zu merken, was für tolle, engagierte Menschen – vor allem Frauen – an der Uni waren und mir Wissen und kritisches Denken vermittelt haben. Das hat sehr viel zu meiner persönlichen Entwicklung beigetragen, zu meiner Art, Fragen zu stellen und zu denken. Dafür empfinde ich eine große Dankbarkeit für die, die mir diesen Weg geebnet haben, indem sie vieles erkämpft haben.

Sauer: Ich habe das Gefühl, ich befinde mich in einem Dauerkampf. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich als Studentin dafür gekämpft habe, dass die erste Professur für feministische Politikwissenschaft vergeben wird. Und jetzt kämpfe ich dafür, dass die Tradition fortgeführt wird. Ich habe in den frühen 1990ern promoviert und in dieser Zeit haben sich Gelegenheitsfenster aufgetan und viel war machbar. Das hat mich geprägt – ich war immer sehr optimistisch. Die jetzige Generation macht da sicherlich andere Erfahrungen. Sie fanden das toll und merken jetzt, wie das immer mehr wegbricht.

Mesquita: Das stimmt; als ich zu studieren begonnen habe, hatte ich das Gefühl, ich konnte aus dem Vollen schöpfen. In den letzten Jahren habe ich immer stärker das Gefühl einer Vereinzelung. Ich glaube aber trotzdem an die kritische Kraft dieser Wissenschaft – das ist eine Quelle, die nie versiegen wird. (Oona Kroisleitner, Tanja Traxler, DER STANDARD, 05.03.2015)