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WEF-Direktorin Christine Lagarde im ruandesischen Parlament

Foto: EPA/STEPHEN JAFFE / INTERNATIONAL MONETARY FUND

Dass die skandinavischen Länder wie Schweden, Finnland und Norwegen in Fragen der Gleichstellung und Gleichberechtigung von Männern und Frauen Spitzenreiter sind, ist weithin bekannt. Weniger, dass auch Ruanda und Nicaragua zumindest im Ranking des globalen Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums an vorderster Front liegen. Ruanda befindet sich beispielsweise 2014 erstmals unter den Top Ten - auf Platz 7 unter 142 ausgewerteten Ländern, gleich hinter den Skandinaviern.

Warum das so ist, ist relativ leicht erklärt. Ruanda hat eine Quotenregelung im Parlament, die 50 Prozent Frauenanteil vorschreibt, derzeit liegt er bei rund 63 Prozent. Ähnliches gilt für die Ministerienebene. Der Zugang zu primärer Schulbildung für Frauen wird ebenfalls gewährleistet. Dennoch, die harten positiven Fakten widersprechen zumindest teilweise der gelebten Realität im Land.

"Was hier nicht gemessen wird sind soziale Normen und Praktiken, die Diskriminierung verursachen. Das zeigt, wie wichtig es ist bei der Datenerfassung in Genderfragen umfassend vorzugehen", sagt Christina Stummer von der ADA (Austrian Development Agency). Die Hausfrau mit 10 Kindern auf dem Land muss von der Arbeit der Parliamentarierinnen nicht zwangsläufig profitieren, insbesondere in einem antidemokratischen Gefüge wie in Ruanda. Dass in den politischen Organen Frauen adäquat repräsentiert sind, heißt also nicht, dass auch die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen und das Wissen über individuelle Rechte zugenommen haben.

Im Gegenteil: oft sind es die sozialen Praktiken, die Frauen benachteiligen, die viel schwieriger zu brechen sind, als politische Mehrheiten. Indikatoren die mehr Aufschluss über den Fortschritt der Gleichstellung geben betreffen heikle und dementsprechend schwierig messbare Bereiche wie die Gewalt gegen Frauen oder einen Bias gegenüber Söhnen, der sich zum Beispiel darin ausdrückt, dass Mädchen vermehrt abgetrieben werden.

Dass auch in Europa noch viel bewegt werden muss, zeigt sich zum Beispiel in den osteuropäischen Ländern, in denen die Zwangsheirat an und für sich schon gesetzlich verboten ist. Trotzdem lässt sich in den letzten Jahren erneut ein Negativ-Trend beobachten, sagt Gender-Expertin Stummer: "Das Gewohnheitsrecht ist stärker. Es kommt trotzdem immer noch zu vielen Zwangsverheiratungen und Frühverheiratungen." Auch wenn mit der wirtschaftlichen Entwicklung die Diskriminierung von Frauen meist abnimmt, gibt es keinen zwangsläufigen Garant für den Fortschritt: "Faktum ist, dass auch in Europa die Erfolge relativ unterschiedlich sind, obwohl wir wirtschaftlich gesehen einigermaßen auf Augenhöhe sind", urteilt Stummer.

Die Strategien, mit denen weltweit die Situation von Frauen verbessert werden soll, unterliegen einem stetigen Wandel. Neben frauenspezifischen Indikatoren wie der Kindersterblichkeit, deren Rückgang zum Beispiel in den Milleniums-Entwicklungszielen der UNO festgeschrieben ist, rücken langsam auch Fragen in den Mittelpunkt, die die Gesellschaft als Ganzes betreffen: "Bei den neuen Nachhaltigkeitszielen wäre es zum Beispiel auch wichtig eine bessere Verteilung und Bezahlung von Pflegearbeit und Erziehungsarbeit miteinzubeziehen", regt Stummer an. Das funktioniert nicht ohne Männer. "Wenn wir uns in den von uns unterstützten Entwicklungsländern um Gleichstellung bemühen, versuchen wir natürlich auch vermehrt Männer in die Arbeit miteinzubeziehen", sagt Stummer. Letzten Endes sollen auch sie profitieren, wenn etwa einseitige tradierte Maskulinitätsvorstellungen aufgebrochen werden. (Teresa Eder, dieStandard.at, 8.3.2015)