Es war vergangenen Sonntag, da postete eine Freundin auf Facebook ein Bild und einen Link. Das Bild war schwarz-weiß. Eine Frau in langer Baumwolljogginghose. Laufend. Hinter ihr und um sie herum ein Pulk Männer – in etwas, was offensichtlich eine tumultartige Szene ist: Ein Mann im dunklen Anzug scheint von hinten über die Läuferin herzufallen. Zumindest zwei der Männer scheinen dagegen einschreiten zu wollen. Oder sich sonst wie einzumischen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: apa/epa/moya

Sie sei ehrlich überrascht, schrieb die Freundin, selbst mehrfache Marathon-Finisherin, zu dem Bild: Sie habe nicht gewusst, dass Frauen erst seit 1984 bei Olympischen Spielen die Marathondistanz laufen dürfen. Die verlinkte Geschichte zu dem Bild, gab sie zu, sei ebenfalls neu für sie. Auch, weil sie aus heutiger Sicht dermaßen grotesk klingt, dass sie, die knapp 30-jährige Läuferin, nicht im Traum gedacht hätte, dass eine solche Geschichte sich überhaupt je ereignen hatte können.

Konnte sie aber. Und es war wichtig, dass sie geschah. Die Frau auf dem Bild heißt Kathrine Switzer. Es wurde am 19. April 1967 aufgenommen – beim Boston-Marathon. Und als Harry Task da auf den Auslöser drückte, ahnte er bestimmt nicht, dass er gerade nicht nur die Bilderserie seines Lebens schoss, sondern auch ein Stück gelebter Frauenbewegung und Sportgeschichte dokumentierte.

Für Frauen verboten

Kathrine Switzer, damals 20 Jahre alt, war nämlich die erste Frau, die es wagte, bei einem Marathon an den Start zu gehen. Die Teilnahme an den 42k-Läufen war Frauen verboten. Natürlich nur aus (männlicher) Sorge um die Gesundheit der Frauen. Switzer trickste bei der Anmeldung, startete – und lief. Bis Rennleiter Jock Semple den "Betrug" bemerkte und einschritt. Respektive einschreiten wollte: Switzers Trainer Tom Miller und ihr Freund, ein Footballspieler, blockten Semple ab. So, dass er k. o. ging. Kathrine Switzer kam ins Ziel – und als erste Frau der Welt in ein offizielles Marathonklassement. Ihre Startnummer: 261. "Passend zum Weltfrauentag", schrieb meine Lauffreundin.

Meine Wiener Lauffreundin kennt Edith Zuschmann nicht. Und hat deshalb auch noch nie vom "Club 261" gehört. Das hat zwei Gründe. Erstens, weil man Zuschmann in der Laufwelt meist unter ihrem Pseudonym "Running Zuschi" kennt. Zweitens, weil Zuschmann in Klagenfurt lebt, bloggt und läuft: Sie ist eine Trainerin, Laufjournalistin und Laufbloggerin, der besonders Frauen am Herzen liegen. Mit dem "Club 261" hat sie vor drei Jahren ein Laufnetzwerk für Frauen und Mädchen ins Leben gerufen. "Laufend mutig" lautet das Motto des Laufnetzes mit dem vermutlich passendsten Namen der Welt.

Vorbild und Gastautorin: Kathrine Switzer und Edith Zuschmann in Palma.
Foto: http://horstvonbohlen.de

Ich wollte schon seit Ewigkeiten etwas über Zuschi und ihre Mission schreiben. Aber Klagenfurt ist weit weg … Dann, vor drei Monaten, rief mich Zuschi an und erzählte mir vom 261-Lauf in Mallorca. "Super", sagte ich. Und: "Spannend". Dann vergaß ich die Sache natürlich wieder, bis Zuschi vergangene Woche aus Palma schrieb: Sie sei jetzt da. Kathrine Switzer auch. Und mehr als 1.200 andere Läuferinnen aus 23 Ländern. Wie wir die Sache angehen würden?

Na ja, wie wohl: Ich bat Running Zuschi um einen Gastbeitrag. Hier ist er.

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261 Women’s Marathon & 10K: Gemeinsam die laufende Herausforderung bewältigt

Mit einem kitschigen Sonnenaufgang kündigte sich um 7.15 Uhr ein strahlender Frühlingstag auf Mallorca an. Knapp eine Stunde später strömten aus allen Himmelsrichtungen die rund 1.200 Teilnehmerinnen, die sich über 42,2 Kilometer oder 10 Kilometer angemeldet hatten, zum Veranstaltungsgelände vor dem Wahrzeichen der mallorquinischen Hauptstadt. Ausgelassene, entspannte Stimmung machte sich breit. Ich lasse mich anstecken. Mit Lauffreundinnen aus Deutschland, Österreich, England und Italien lache ich, mache Scherze. Vor allem die Marathonis vergessen so ein wenig ihre Anspannung vor dem Rennen.

Bereits zum zweiten Mal findet der 261 Women’s Marathon & 10K in Palma de Mallorca statt. Kathrine Switzer, die Frauenlaufpionierin, die 1967 mit der Startnummer 261 als erste Frau offiziell einen Marathon gefinisht hatte, inspirierte zu diesem Lauf. Da uns beide nicht nur eine wunderschöne Freundschaft verbindet, sondern auch der Club 261, war es für mich ein Muss, mit dabei zu sein.

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Ich gestehe – ganz mutig war ich doch nicht. Ich entschied mich, die 10-Kilometer-Strecke in Angriff zu nehmen. Gemeinsam mit befreundeten Journalistinnen und Bloggerinnen wollte ich die Strecke rocken. Dank angenehmer Temperaturen, wenig Wind und flacher Streckenführung war an diesem Sonntag alles perfekt für uns angerichtet. Kurz vor neun Uhr standen wir startklar in unserem Startbereich. Kathrine Switzer brachte mit ihrer motivierenden Art die Stimmung endgültig zum Kochen.

Schweißtreibender Run Fun

Als Erste liefen die mehr als 100 Marathonläuferinnen los, knapp fünf Minuten später folgten wir, die 10K-Läuferinnen. Der 10-Kilometer-Lauf erfreute sich in diesem Jahr erneut großer Beliebtheit. Mehr als 1.000 Starterinnen umfasste das Feld. Für uns alle ging es zuerst auf eine 10-Kilometer-Schleife in Richtung Osten. Palmen, Meer, Strandpromenade und anfeuernde Touristen sowie Einheimische – eine Art Urlaubsszenerie, die uns von der Anstrengung ablenkte.

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Nach dieser Schleife durften wir auf die Zielgerade abbiegen und jubeln. Am Ende des Zielkanals wartete auch schon Kathrine. Sie nahm jede von uns persönlich in die Arme, wie eine Mutter, die sich über den Erfolg ihrer Kinder freut. Als Belohnung gab es für jede eine Finisher-Perlenkette. Freudentränen, Umarmungen, Jubelschreie – Emotionen pur.

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Das 10K-Rennen entschied, wie bereits bei der Premiere 2014, die Spanierin Vanessa Veiga für sich. Sie benötigte 36 Minuten und 34 Sekunden. Auf Platz zwei folgte das junge Lauftalent Laura Benguría in 37:29. Die spanische Mountainbike-Legende Marga Fullana (dreifache Weltmeisterin und Bronzemedaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000) landete mit einer Zeit von 37:56 auf Platz drei.

Von dieser Spitzengruppe hatte ich nichts mitbekommen – ich hatte mich an Jales Fersen geheftet und versuchte, ihr zu folgen. Nach langer Zeit bestritt sie wieder einen Wettkampf und genoss die Herausforderung in vollen Zügen. "Danke, das hat riesigen Spaß gemacht", meinte sie freudestrahlend im Ziel.

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Herausforderung Marathon

Während wir bereits feierten, hieß es für die Marathonläuferinnen: noch weitere 32 Kilometer abspulen. Drei 10-Kilometer-Runden warteten noch auf sie, die sie immer wieder in Richtung Westen, an den Jachthafen von Palma, führten.

Während vorne die Rumänin Elena Daniela Cirlan einer neuen Streckenrekordzeit von 2:51:08 entgegenlief, waren alle anderen Läuferinnen mit ihrer eigenen Herausforderung beschäftigt. Ich platzierte mich auf einer Verkehrsinsel mit Blick auf die Strecke und die Zielgerade und versuchte mit meinen Anfeuerungsrufen die vorbeikommenden Läuferinnen anzutreiben. Kathrine gesellte sich zu mir und lief immer wieder mit den Vorbeikommenden einige Meter mit.

Die heute 68-jährige US-Amerikanerin ist ein unermüdliches Energiebündel, das für die Sache brennt. Wo immer sie kann, versucht sie Frauen zum Laufen und damit auch zu mehr Selbstbewusstsein zu animieren. Mit ihrer unglaublich offenen und gewinnenden Art gelingt ihr das im Handumdrehen. Ihre Beweggründe beschreibt sie in ihrer Biografie "Marathon Woman" – für mich die Bibel des Frauenlaufsports.

Eine entscheidende Motivation gaben sich die Athletinnen untereinander. Sie riefen sich bei jedem Turn aufmunternde Durchhalteparolen zu. Gemeinsam geht es eben einfacher.

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Eine besondere Geschichte schrieben die spanischen Triathletinnen Noelia Mora und Marta Jiménez. Fast das gesamte Rennen rannten sie Schulter an Schulter. Anstatt sich in einem Zielsprint zu duellieren, überquerten sie nach 3:20:54 Hand in Hand die Ziellinie und teilten sich Platz zwei. Einmal mehr eine Geste, die beweist, dass Frauenläufe andere Gesetze schreiben.

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Sowohl über die Marathondistanz als auch über die 10K waren männliche Teilnehmer zugelassen – eine weitere Besonderheit dieses Rennens. Sie konnten als Supporter ihre laufenden Frauen betreuen und sie auf ihrer Laufreise durch Palma begleiten. Eine eigene Männerwertung gab es nicht. Ein Angebot, das einige Männer annahmen.

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Und den Frauen gefiel es, denn ausnahmslos alle Herren ließen den Damen beim Zieleinlauf den Vortritt und feierten sie.

Foto: Zuschmann

Gegen Mittag bogen nacheinander die Marathonläuferinnen in den Zielkanal ein. Der Einlauf über den rosa Teppich, direkt vor der Kathedrale von Palma, wurde ein Einzug von Siegerinnen. Sie rissen die Arme in die Höhe und ließen sich von den Zuschauern und der Musik über die letzten Meter tragen.

Nach der Ziellinie wartete Kathrine, die unermüdlich jede Einzelne willkommen hieß. "Ich bin nicht nur von der tollen Organisation und dem großartigen Wetter überwältig", meinte sie nach dem Rennen. Sie zeigte zudem eine unglaubliche Ausdauer und harrte bis zur allerletzten Finisherin, die nach 7 Stunden und 28 Minuten ankam, aus.

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Frauen aus 23 Nationen waren nach Palma de Mallorca angereist. Sie kamen mit dem Ziel, die 261-Gemeinschaft zu erfahren und zu leben, anstatt sich zu duellieren. Für mich einmal mehr ein Beweis, dass Frauen anders laufen und Frauenläufe auch heute noch eine Berechtigung haben.

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Für Frauen attraktiv gestaltet war auch das Rahmenprogramm, wie etwa der samstägige Breakfast Run mit Kathrine Switzer, die fröhliche Pastaparty im Hard Rock Café und die inspirierende Gespräche auf der Lauf-Expo. Die Erwartungen der meisten Teilnehmerinnen und auch von mir wurden übertroffen: Wir alle erlebten gemeinsam den Frauenlaufspirit in seiner reinsten Form. (Thomas Rottenberg, Edith Zuschmann, derStandard.at, 13.3.2015)