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Mit gleicher Ausbildung eine schlechter bezahlte Position bekommen als ein Mann – die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern existiert auch 2015 noch.

FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Es gibt Wörter, die ich nicht mehr hören kann. Die in mir einen Brechreiz auslösen, den ich sonst nur verspüre, wenn mir reaktionäre Spinner auf Facebook klarmachen wollen, es wäre total okay, seine Kinder zu schlagen. Oder seine Frau. Oder all die Ausländer. Oder einfach alle, die keine reaktionären Spinner sind. Etwa das Fast-schon-Wort-des-Jahres "Genderwahnsinn". Ein akzeptiertes Wort, das quer durch alle Bildungsschichten verwendet wird.

Was bedeutet "Genderwahnsinn"? Im Kontext wird immer schnell klar, was es aussagen soll, und zwar in erster Linie, dass der Feminismus (heutzutage und vielleicht überhaupt) keine Berechtigung hat, weil er
a) im Umkehrschluss alle Männer unterdrückt,
b) die meisten Männer ohnehin schon unterdrückt sind durch dieses Diktat der alles beherrschenden, dem Genderwahn verfallenen Frauen,
c) Frauen und Männer nun mal verschieden sind, die Emanzipation allen ihr Geschlecht wegnehmen will und
d) die Frauen sowieso nicht unterdrückt sind, sondern eher – siehe oben – die, die jetzt die armen Männer unterdrücken.

Rückschrittliche Ideen

All das kann man in allen möglichen Foren lesen, man kann es in Statistiken ausdrücken. Erschreckend viele junge Männer meinen, dass in Bezug auf Frauenförderung zu viel getan worden ist und Quoten nicht geeignet sind. Man braucht nicht erst zu den "Vätern ohne Rechte" oder zur FPÖ gehen, um mit solchen unhaltbar rückschrittlichen Ideen konfrontiert zu werden. Man kann sich bei Bedarf auch gerne im Gasthaus um die Ecke die volle Dosis geben.

Was geht in den Köpfen dieser Menschen vor? Warum so vehement gegen jeden Fortschritt? Das Argument des (noch) fehlenden Bewusstseins ist nicht ausreichend. Es sind nicht nur die "unteren Bildungsschichten", die etwas glauben, es sind auch nicht nur die, die es verbreiten, um zu unterdrücken. Es ist auch die breite gesellschaftliche Masse, die sich verdammt unsolidarisch verhält.

Kein Bock auf Ungleichbehandlung

Manche glauben, dass Frauen nicht mehr anders behandelt werden als Männer und wenn, dann eigentlich viel besser. Ja, tatsächlich haben uns in Europa die erste und zweite Frauenbewegung weitergebracht. Ja, anderswo ist es viel schlimmer. Heute, im privilegierten Westen, dürfen Frauen wählen und seit den 70ern auch selbst bestimmen, ob sie arbeiten wollen oder nicht. Sogar Abtreibung ist begrenzt straffrei und Vergewaltigung in der Ehe ist inzwischen strafbar. Trotzdem geben Feministinnen keine Ruhe: weil sie keinen Bock haben, im Berufsleben 500 Prozent geben zu müssen, und trotzdem mit gleicher Ausbildung eine schlechter bezahlte Position bekommen als ein Mann. Weil es kein Kinderliebe-Gen gibt.

Liebe "Genderwahnsinn"-Bekämpfer

Es gibt ein Wort, an das ich all die Väterrechtler und Frauenhasser erinnern möchte: Alltagssexismus. Als junge Frau, die doch recht oft in Wien unterwegs ist, ist mir nicht klar, wie jemand, der mit offenen Augen durch die Stadt geht, behaupten kann, im Bereich der Frauenförderung werde zu viel getan und eine Benachteiligung der Frau, also auch Sexismus, sei ein Hirngespinst der feministischen Weltverschwörung.

Ich frage mich, ob ich in einer Parallelwelt lebe oder ob mir nur noch nie aufgefallen ist, dass sich Männer nachts auf dem Heimweg zehnmal umdrehen, während sie verkrampft ihr Handy in der Hand halten. Dass sie einen Pfefferspray bei sich tragen und den Schlüssel. Dass ihnen von allen Seiten nahegelegt wird, nachts aufzupassen und eventuell mit dem Taxi zu fahren. Wird Männern etwa auch im Vorbeigehen von wildfremden Menschen nachgepfiffen? Oder auf den Hintern geklopft? Müssen sie es akzeptieren, dass sie in Clubs, in der U-Bahn, auf der Straße oder sonst wo als Freiwild gesehen werden, und lässt man sie häufig erst in Ruhe, wenn sie genervt und beunruhigt sagen, dass sie schon wem anderen gehören? Werden in Gruppen Betrunkener ständig Männerwitze gemacht und wird ihnen, wenn sie nicht lachen, vorgeworfen, dass sie humorlos und verklemmt sind? Hören Männer von Zurückgewiesenen, dass sie Schlampen seien und man ja wohl noch schauen dürfe? Fürchten sie sich oft, nachts und in verlassenen Gegenden vergewaltigt zu werden? Nein?

Erkennt ihr euch nicht wieder, liebe "Genderwahnsinn"-Bekämpfer? Das ist aber der Alltag von Frauen, und das liegt nicht daran, dass die meisten Gewaltverbrechen an Frauen im öffentlichen Raum begangen werden – die finden nämlich im trauten Heim statt –, sondern daran, dass ihr nicht reflektiert, dumme Sprüche macht und lieber über "Genderwahnsinn" schimpft, als euer Verhalten gegenüber Frauen zu verändern. (Lucia Palas, derStandard.at, 23.3.2015)