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Wie Menschen Schmerzen empfinden, hängt auch von der jeweiligen Situation ab. Forschern gelang es nun, die zugrundeliegenden Mechanismen der Schmerzverarbeitung zu identifizieren.

Foto: AP/Kathy Willens

Zürich - Schmerzen sind unangenehm, manchmal schwer erträglich. Sie können auch chronisch werden - schätzungsweise leidet etwa ein Fünftel der Menschen in den Industriegesellschaften unter chronischen Schmerzen. Diese können je nach Situation unterschiedlich empfunden werden. Die zugrundeliegenden Mechanismen der Schmerzverarbeitung sind aber bislang noch nicht vollständig geklärt.

Vor 50 Jahren haben der Neurobiologe Patrick Wall und der Psychologe Ronald Melzack die sogenannte "Gate-Control-Theory" des Schmerzes formuliert. Die beiden Forscher postulierten, dass hemmende Nervenzellen im Rückenmark darüber entscheiden, ob ein aus der Peripherie, zum Beispiel vom Fuß kommender Schmerzimpuls ins Gehirn weiter geleitet wird oder nicht.

Welche hemmenden Nervenzellen im Rückenmark für diese Kontrollfunktion verantwortlich sind, konnte jetzt das Team von Hanns Ulrich Zeilhofer vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich zeigen: Die Kontroll-Zellen liegen im tiefen Hinterhorn des Rückenmarks und verwenden als hemmenden Überträgerstoff die Aminosäure Glycin.

Schmerzempfindlichkeit lässt sich verändern

Mit Hilfe von genetisch veränderten Viren gelang es der Forschungsgruppe der UZH im Tiermodell, diese Nervenzellen gezielt zu lähmen. Sie fand heraus, dass die Lähmung dieser Glycin freisetzenden Nervenzellen zu einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit und zu Zeichen von spontanen Schmerzen führte. Zeilhofer und sein Forscherteam entwickelte überdies Viren, die es erlauben, diese Schmerz-Kontroll-Zellen gezielt pharmakologisch zu aktivieren. So behandelte Mäuse waren gegenüber schmerzhaften Reizen weniger empfindlich als unbehandelte.

Auch chronische Schmerzen vermochte die Aktivierung dieser Nervenzellen zu vermindern. "Die Nervenzellen kontrollieren aber offenbar nicht nur Schmerzen, sondern auch verschiedene Formen des Juckreiz", ergänzt Zeilhofer.

Zusammenhang von Hautnerven und Schmerz

Ein wichtiger Aspekt der "Gate-Control-Theory" ist, dass die Aktivität der Schmerz kontrollierenden Nervenzellen durch verschiedene Einflüsse moduliert werden kann. Durch Erfahrung aus dem Alltag wissen wir zum Beispiel, dass sanftes Reiben oder Halten einer verletzten Extremität Schmerzen in diesem Bereich lindern können. Gemäß der Theorie sollte demnach eine nicht schmerzhafte Berührung der Haut die hemmenden Nervenzellen aktivieren.

Tatsächlich konnten die UZH-Forscher bei der Überprüfung dieser Hypothese bestätigen, dass die hemmenden, Glycin ausschüttenden Nervenzellen von solchen berührungsempfindlichen Hautnerven innerviert werden. Zudem konnten die Pharmakologen zeigen, dass auch Nervenzellen in den oberflächlichen Schichten des Rückenmarks, wo die Fortleitung der Schmerzsignale erfolgt, vorwiegend durch Glycin-Signale gehemmt werden.

"Unsere drei Befunde können erstmals die Nervenzellen und Verschaltungen, die der 'Gate-Control Theory' zugrunde liegen, beschreiben, fasst Hanns Ulrich Zeilhofer die Ergebnisse zusammen.

Gezielte Therapie beim Menschen noch nicht möglich

Können diese Erkenntnisse nun für die Therapie von Schmerzen genutzt werden? "Die gezielte Erregung oder Hemmung von bestimmten Typen von Nervenzellen beim Menschen liegt noch in der Ferne und wird vielleicht erst in einigen Jahrzehnten möglich sein", sagt Zeilhofer.

Ein anderer Weg könne aber womöglich schon eher ans Ziel führen - nämlich der über die Rezeptoren, die von den hemmenden Nervenzellen aktiviert werden: "Diese Rezeptoren liegen auf den Nervenzellen, die die Schmerzsignale ins Gehirn weiterleiten, so dass deren gezielte pharmakologische Aktivierung den Schmerz ebenfalls blockieren könnte", so Zeilhofer. (red, derStandard.at, 19.3.2015)