Studie eines Austellungsraums: Sasha Pirkers / Lotte Schreibers prämierter Film "Exhibition Talks".

Sixpackfilm

Alltag in einer Jugend- und Kinderpsychiatrie: Constantin Wulffs Dokumentarfilm "Wie die anderen".

Foto: Navigator

Graz – Bei der Preisverleihung Samstagabend im Orpheum ließ Kulturminister Josef Ostermayer mit einer neuen Erfolgsformel fürs Austrokino aufhorchen: Man möge doch einmal das gesamte Filmförderbudget eines Jahres in eine einzige Produktion stecken.

Diese Worte Ostermayers kamen selbstverständlich aus dem Mund von Maschek. Die Neuvertonungsspezialisten und Gestalter der Preisgala ließen ein Beispiel folgen: Clips aus The Sound of Music mit Dialogen aus dem Spielfilmprogramm der Diagonale – auch mit Sätzen aus Ich seh Ich seh, der einen Machtkampf zwischen Zwillingsbuben und ihrer Mutter inszeniert.

Das Regieduo Veronika Franz / Severin Fiala konnte für dieses klug arrangierte Stück Horrorgenrekino den Großen Diagonalepreis / Spielfilm entgegennehmen. Das Pendant für Dokumentarfilm ging an Nikolaus Geyrhalter und seine beeindruckende Langzeitbeobachtung Über die Jahre, die Menschen im Waldviertel porträtiert, die sich nicht nur beruflich neu orientieren müssen (seit Freitag bundesweit im Kino).

Geschenke und Würdigungen

Geyrhalter würdigte in seiner Dankesrede – nicht als Einziger an diesem Abend – die scheidende Diagonale-Intendantin Barbara Pichler: Die ihm gewidmete Retrospektive – eine Idee, der er zunächst skeptisch gegenüberstand – habe sich im Lauf der Festivalwoche als Geschenk erwiesen. Pichler, die ihre Funktion auf eigenen Wunsch nach sieben Jahren aufgibt, erhielt vom Vorstand des Trägervereins einen einmaligen (undotierten) Würdigungspreis.

Pichler hat das Festival wieder deutlicher profiliert. Jetzt übernehmen mit Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber Vertreter einer neuen Generation, die auch programmatische Verschiebungen in Aussicht gestellt haben. Ein integraler Bestandteil des heimischen Filmschaffens, der experimentelle Bereich, muss wohl weiter eine zentrale Rolle spielen.

Diesmal gab es eine besonders große Bandbreite an stilistischen Zugängen zu sehen: Vom 3-D-Parcours durch die Bilderlabyrinthe des Film noir in Virgil Widrichs back track über eine fröhlich-sadistische Reinszenierung von Sergej Eisensteins berühmter Treppenszene durch Norbert Pfaffenbichler (Odessa Crash Test) bis zu Katrina Daschners visuell betörendem Powder Placenta, der in ein paradiesisches Zwischenreich aus gemalten Bühnenbildern, streunenden Wölfen und schillernden Feenwesen vordringt.

Raum für Spekulationen

Der prämierte Film, Exhibition Talks, ist hingegen das Ergebnis einer Kollaboration zweier Künstlerinnen, bei der sich deren stilistische Eigenheiten harmonisch ergänzen. Gegenstand der Untersuchung ist ein vom Architekten Lois Welzenbacher entworfenes Gebäude, das vom Industriestandort einer Bierbrauerei zur Ausstellungsfläche (Architekturforum Innsbruck) mutiert ist.

Sasha Pirker und Lotte Schreiber testen die Räume auf ihre Tauglichkeit. Während die Kommentarstimme in leicht mokantem Tonfall deren Vor- und Nachteile bespricht und Hinweise gibt, wie sich etwa manche Laune des Lichts korrigieren ließe, lehnt sich der Film auf der Bildebene an der Formensprache des Gebäudes an: Das Spiel aus Licht und Schatten, die strengen Linien des Baus aus den 1920er-Jahren werden durch Schwarzweißbilder akzentuiert, aber nicht jedes Detail wird entschlüsselt. Exhibition Talks lässt damit selbst Raum für Spekulationen. Wie sich mit Ausstellungsflächen "richtig" umgehen lässt, diese Frage, die in der Praxis nicht selten zu kurz kommt, tritt hier in den Vordergrund.

Innerhalb eines Gebäudes bewegt sich auch Wie die anderen von Constantin Wulff. Nach In die Welt, in dem eine Geburtenklinik im Mittelpunkt stand, widmet sich der Dokumentarist der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landesklinikum Tulln. Als klassischer, klug gebauter Institutionenfilm legt er sein Augenmerk auf die Interaktionen zwischen Ärzten und Patienten sowie die inneren Abläufe der Abteilung. Er erzählt von Druck, den Zwängen, der Kluft zwischen dem Ideal der Zuwendung und dessen Umsetzbarkeit in beiden Bereichen.

Unvermeidbares und Endzeit

Eine weitere bemerkenswerte Premiere war Albert Meisls Vaterfilm, ein ungewöhnliches Homemovie, das ein Dahinscheiden dokumentiert. Der an fortgeschrittener Demenz leidende betagte Vater des Filmemachers wird zu Hause betreut. Der Film beschränkt sich auf die Interaktion mit dem Kranken, auf Gespräche zwischen Mutter und Sohn. Statische Aufnahmen zeigen, wie sich ein Körper verändert, buchstäblich erstarrt und vermitteln dabei Zuneigung, Respekt und ruhige Einsicht in das Unvermeidbare.

Darüber hinaus gab es auf dieser Diagonale auch weitere Entdeckungen jüngerer Autoren: Parabellum von Lukas Valenta Rinner ist ein streng formalisiertes, dialogarmes Endzeitdrama, das deklassierte Mittelständler zum Überlebenstraining in den Urwald begleitet. Das Debüt läuft dieser Tage sogar bei New Directors im New Yorker Moma. Nicht nur diesem Filmemacher wird man wohl bei zukünftigen Diagonalen wieder begegnen.(Dominik Kamalzadeh, Isabella Reicher, DER STANDARD 23.3.2015)