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Erziehungswissenschafter Günter Haider betont die Rolle des Kindergartens bei der Sprachvermittlung. Zwei Pflichtjahre für alle und es sollte keine Probleme mit Deutsch vor Schuleintritt geben.

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STANDARD: Die Regierung traut offenbar ihrer eigenen Sprachförderung im Kindergarten nicht, denn sie plant, Schülerinnen und Schüler mit Sprachdefiziten in "vorbereitenden Klassen fit zu machen, damit der schnellstmögliche Eintritt in das Regelschulsystem gewährleistet werden kann". Sind solche Extraklassen für Kinder mit Sprachdefiziten sinnvoll?

Haider: Das Schulwesen kennt das im Augenblick noch nicht. Vorschulklassen sind für Kinder eingerichtet, die nicht schulreif sind. Natürlich ist auch die Tatsache, dass sie die Unterrichtssprache nicht ausreichend oder überhaupt nicht können, ein Grund, dass sie nicht schulreif sind. In diesen Vorschulklassen können also auch heute schon Kinder sitzen, um speziell in ihren sprachlichen Fähigkeiten aufzuholen. Dort sitzen aber auch österreichische Kinder, die nicht schulreif sind. Wien mit seinem hohen Migrantenanteil ist immer ein gutes Beispiel: Soweit ich weiß, gibt es dort keine einzige reine Ausländervorschulklasse, weil auch die Pädagogen sagen, man lernt am besten in der Gruppe, wo auch Native Speakers in Deutsch dabei sind, also österreichische Schüler plus Lehrer und eventuell Zweitsprach- oder Schwerpunktlehrer, die das unterstützen. Wenn die Kinder sonst schulreif sind und es nur noch an sprachlicher Schulung mangelt, dann müsste man sie integrieren und mit einem zusätzlichen Lehrer und mit zusätzlichen Stunden auf Kosten anderer Unterrichtsstunden im ersten halben Jahr oder Jahr zusätzlich in der Sprache fördern.

STANDARD: Wie kann so eine Förderung im Schulverbund aussehen?

Haider: Ich habe das bei meinen eigenen Töchtern in Amerika erlebt. Dort werden Kinder jeden Tag einfach ein bis zwei Stunden aus der normalen Schulklasse herausgenommen und von der speziell geschulten Lehrerin in den Grundlagen der Sprache unterwiesen. Die Kinder melden sich ja für die Volksschule schon ein halbes Jahr vorher an, da sind sie noch im Kindergarten. Allein in diesem halben Jahr bis zum Volksschuleintritt kann man ja eine ganze Menge machen. Meine Kinder haben in einem halben Jahr tadellos so viel Englisch gelernt, dass sie sich mit den anderen Schülern verständigen und einen Großteil des Unterrichts verstehen konnten. Und dann geht's ja relativ schnell. Für Kinder, die zwei Jahre Kindergarten haben, sollte das kein Problem sein.

STANDARD: Wäre ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr aus pädagogischer Sicht also wichtiger als Sprachklassen vor der Schule?

Haider: Also die Kinder jetzt zwei Jahre in eine Vorschule zu schicken, um sie dann quasi erst mit acht Jahren einzuschulen - auf die Idee kommt ja hoffentlich niemand. Natürlich ist der Kindergarten der Platz, wo diese Defizite zuerst aufzuholen sind. Sinnvoll wären also zwei Jahre verpflichtender Kindergarten, aber mit entsprechenden Ressourcen, um diese Kinder auch zu betreuen, weil mit 25 Kindern und einer Kindergartenpädagogin ist das nicht zu machen. Aber mit zwei Pflichtkindergartenjahren und notfalls in der ersten Klasse mit zusätzlichem Sprachunterricht müsste dies zu schaffen sein. Ausnahmefall, wenn wir Kinder haben, die tatsächlich genau mit sechs Jahren nach Österreich kommen und dann eingeschult werden ohne Kindergarten, ohne irgendwas. Für diese Gruppe muss man dann eigene Sprachstunden schaffen.

STANDARD: Der Tenor des Kremser Papiers, den vor allem die ÖVP forciert, klingt aber so, dass Deutsch zum einzigen Kriterium für Schulreife hochstilisiert werden soll?

Haider: Das ist nicht sinnvoll. Es sollte nach zwei Jahren Kindergarten ja eigentlich kein Kind mehr ohne grundlegende Deutschkenntnisse geben. Wenn das Kind insgesamt, nicht nur sprachlich, nicht schulreif ist, gibt es noch die Möglichkeit, ein Jahr Vorschule zu machen. Und wenn man aus Gründen der Unterrichtssprache dem Unterricht nicht folgen kann, kann man eine Zeitlang außerordentlicher Schüler mit zusätzlicher Sprachförderung sein. Das Wichtigste ist aber, dass man die Kinder nicht aus der Wirklichkeit, dem Schulalltag der anderen Schüler herausnimmt oder ausschließt, sondern dass sie dort ganz normal partizipieren, weil dort lernen sie am allermeisten. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 25.3.2015)