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Nicht in meinem Namen: Nach Terroranschlägen durch Islamisten wehren sich Muslime dagegen, dass ihre Religion mit Terrorismus gleichgesetzt wird.

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Die Frauenaktivistin Silke Kettmann ist froh, dass sie ihre Religion leben kann. Und sie will auch anderen Frauen dabei helfen.

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Ihre Sprache verrät ihre Herkunft. Silke Kettmann ist in Ostdeutschland auf die Welt gekommen und groß geworden. Mit 21 Jahren kam sie als Republikflüchtling nach Bayern. 2002 führte sie ihr Weg nach Wien, wo sie "ein ziemlich normales Leben" führte. Ihr ehemaliger Mann war Diplomat. Mit ihm ist sie nach Österreich gekommen. Ihre Familie ist zurück nach Deutschland gegangen, doch sie blieb in Wien. Von einer selbstständigen Zahntechnikerin zur Künstlerin bis hin zur Begleitlehrerin und Sozialarbeiterin hat sie alles probiert.

Das Handy läutet, Silke Kettmann muss ran. Seit kurzem schaltet sie ihr Telefon nachts aus, denn es werde ihr langsam schon zu viel. Ihre Nummer kursiert in den unterschiedlichsten Seiten im Internet. In diesen Tagen hat die ehrenamtlich Tätige alle Hände voll zu tun. Für viele Frauen, die keinen Ausweg mehr sehen, ist sie die erste Ansprechpartnerin. Aufrecht auf ihrem Sessel sitzend, im Büro in der Gerhardusgasse im zwanzigsten Wiener Bezirk, erklärt sie, wie wichtig es ist, Frauen zur Selbstständigkeit zu verhelfen. Hier ist alles neu eingerichtet. Es ist der Sitz des Vereins "Jetzt Zukunft", der sich der Begleitung und Beratung von Musliminnen in allen schwierigen Lebenslagen verschrieben hat. Helle Farben dominieren die Räumlichkeiten. Ein Schal in prächtigem Violett hat die deutsche Muslimin um den Kopf gebunden. Zartflieder-weiß karierte Bluse, beiger Maxirock und das Tuch sind perfekt aufeinander abgestimmt. Es sind kräftige Farben, die der Persönlichkeit einer selbstbewussten Frau Mitte vierzig zusätzlich Ausdruck verleihen.

Kein Ausweg

Ihr Engagement für Frauen begann in Österreich, nach ihrer Konversion zum Islam vor etwa vier Jahren. In einer Frauengruppe im Islamischen Zentrum in Wien fand sie Geborgenheit und Zusammenhalt. Hier fing alles an – als eine junge Konvertitin in die Moschee kam und erzählte, ihre Eltern hätten sie aufgrund ihrer Entscheidung ausgestoßen. "Sie wusste nicht wohin, und ich habe sie bei mir privat aufgenommen. Das mache ich seit Jahren, und viele andere KollegInnen nahmen auch Hilfesuchende bei sich auf", erzählt die ausgebildete Zahntechnikerin. Doch jetzt möchte sie das Projekt "Hatice", das sich für Frauen in Notlagen einsetzt, professionell umsetzen. Dabei gehe es nicht in erster Linie um Opfer von Gewalt, sondern um alle Frauen in jeglicher Notlage. Frauen, die ihre Wohnungen verloren haben, die nach der Scheidung auf der Straße landen, oder auch Konvertitinnen, die Probleme mit der Familie haben und nicht wissen, wohin. "Wir wollen, dass die Frauen auf ihre eigenen Füße stehen und sich auch nichts einreden lassen. Sie sollen in Ruhe leben können."

Der zweifachen Mutter ist es wichtig, dass die Frauen sich selbst treu bleiben und sich nicht für andere aufgeben. Vielen Musliminnen werde gesagt, sie sollten das Kopftuch ablegen, denn dann hätten sie es leichter, hätten mehr Chancen und würden eher eine Arbeit finden, erklärt Kettmann. Vor allem muslimische Frauen hätten Hemmungen, ein gewöhnliches Frauenhaus aufzusuchen. "Da fühlen sich Musliminnen nicht immer verstanden, weil auch viele Klischees über sie bestehen."

Um mit genau diesen Klischees zu brechen, sucht Kettmann das Gespräch und möchte auch bald mit Informationsveranstaltungen an die Öffentlichkeit gehen, um aufzuklären. Selbst ihre eigene Familie begegnete ihr mit Vorurteilen. Als ihr Sohn von ihrer neuen Religion erfuhr, war seine erste Frage, ob seine Mutter jetzt Auto fahren dürfe. Das ärgert sie. Ein Thema, das ihre Stimme etwas weniger kraftvoll klingen lässt, ist ihre eigene Familie. Kontakt nach Deutschland hat Kettmann seit ihrer Konversion kaum mehr. "Fast meine komplette Familie akzeptiert mich als Muslimin nicht. Ich bin froh, dass ich jetzt zumindest wieder telefonischen Kontakt habe", meint sie mit sichtlicher Erleichterung. Ganz allein ist sie nicht mehr, fügt sie mit einem Lächeln hinzu. Vor einem Jahr hat sie geheiratet.

Auf die Gesellschaft zugehen

In einem atheistischen Umfeld erzogen, hielt die 47-Jährige wenig vom Christentum. Immer wieder hat sie Informationen über andere Religionen aufgeschnappt. Der Islam stand auf der Suche nicht im Vordergrund, sondern die Ahnung, "dass es einen Gott geben muss". Das erste Mal mit ihrer heutigen Religion konfrontiert wurde sie, als ihr Exmann ihr ein Buch über die Islamisierung Europas schenkte. Sie fing an, sich damit auseinanderzusetzen, und eines Tages griff sie zum Telefonbuch und rief einen islamischen Religionslehrer an.

Die Frauenaktivistin ist dankbar, dass sie ihre Religion leben kann. Wohin sich ihre Arbeit entwickelt, weiß die Sozialarbeiterin nicht. Bald steht ein Termin mit der Frauenstadträtin Sandra Frauenberger an. Eines ist sicher: Silke Kettmann will alles machen, um ihr Ziel zu erreichen. "Ich möchte der Welt zeigen, dass Muslime ganz normale Menschen sind." Muslime werden für Sachen verantwortlich gemacht, mit denen sie nichts zu tun hätten, erklärt sie. Das könne man nur verhindern, indem Muslime einen Schritt auf die Gesellschaft zugehen. "Allein dass, wenn von Muslimen gesprochen wird, Ausländer gemeint sind", stört sie, und mit einem Schmunzeln führt sie fort: "Na ja, ich bin es schon, aber viele Muslime nicht." (Nermin Ismail, dieStandard.at, 1.4.2015)