Fast zwei Drittel der 138 Milliarden Euro an illegalen Gewinnen, die international mit Zwangsarbeit erwirtschaftet werden, entfallen auf das Geschäft mit Zwangsprostitution.

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Wien/Krems - Wenn Frauen aus Osteuropa, Afrika oder Asien einmal eingewilligt haben, mit Menschenhändlern nach Österreich zu kommen, und sich dann hier im illegalen Prostitutionsgewerbe wiederfinden, wird ihnen der Ausstieg beinahe unmöglich gemacht - mit psychischer und physischer Gewalt. Warum das so ist und mit welchen Strategien das Gewaltverhältnis durchbrochen werden kann, damit befasst sich ein aktuelles Forschungsprojekt von Deutschland und Österreich. Das Projekt "Prävention und Intervention bei Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung" (Primsa) ist im Herbst 2014 angelaufen, bis 2015 sollen Ergebnisse vorliegen.

Eine Vielzahl an Kooperationspartnern aus Pädagogik, Psychologie, Soziologie, technischen Disziplinen, Rechtswissenschaften und Kriminalistik sind am Projekt Primsa beteiligt: Die Universität Vechta in Niedersachsen hat die Gesamtprojektkoordination inne und analysiert das Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung.

21 Millionen Opfer

Weiters beteiligt daran sind das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen, das polizeiliche Ermittlungsakten auswertet, und das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik, das ein Gerät entwickeln will, mit dem die polizeilichen Ermittler unterstützt werden sollen. Die Projektleitung für die österreichischen Projektpartner liegt bei der Donau-Universität Krems, gefördert wird das bilaterale Forschungsprojekt im Rahmen des Programms Kiras des österreichischen Verkehrsministeriums und des deutschen Bildungsministeriums.

Weltweit werden derzeit etwa 21 Millionen Kinder, Frauen und Männer zu Zwangsarbeit genötigt. Nach Schätzungen der UN sind die meisten Opfer von Menschenhandel. Das United Nations Office on Drugs and Crime geht davon aus, dass in keiner anderen Region so viele Opfer von Menschenhandel mit sexueller Ausbeutung in Zusammenhang stehen wie in Europa und Zentralasien: 66 Prozent(siehe Grafik).

103 Personen wurden 2012 in Österreich von den Behörden als Opfer von Menschenhandel erfasst. Eine wesentlich höhere Dunkelziffer wird befürchtet. Wie in anderen europäischen Ländern ist Menschenhandel in Österreich vor allem bei Prostitution ein Problem. Im Gegensatz zu osteuropäischen Ländern besteht hierzulande weniger die Gefahr, dass Frauen zur Zwangsarbeit in andere Länder verschleppt werden, Österreich ist vor allem ein Transit- und Zielland.

Mafiöse Strukturen

Österreich-Projektleiterin von Primsa, Silke Birgitta Gahleitner, Professorin für Integrative Therapie und Psychosoziale Interventionen an der Donau-Uni, wird mit ihrem Team die Täter-Opfer-Dynamiken aus Betroffenenperspektive in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium analysieren. In früheren EU-Projekten hat sie festgestellt, dass es zwar Hilfsprogramme mit guten Konzepten gibt - diese werden aber oftmals nicht angenommen, oder die Frauen kehren nach kurzer Zeit in die Gewaltverhältnisse zurück. "Uns beschäftigt sehr, warum das so ist", sagt Gahleitner. Wie können wirksame Ausstiegsbegleitungen aussehen? Wodurch fassen Frauen Vertrauen zu Polizisten oder Therapeuten? Wie können sie ihr Trauma verarbeiten? - All das sind Fragen, denen Gahleitner und ihr Team in den nächsten zwei Jahren nachgehen wollen.

Dass vorhandene Angebote nicht optimal angenommen werden, habe mit dem "hoch professionell organisierten Gewaltsystem" der Menschenhändler zu tun, sagt Gahleitner. Nur in Ausnahmefällen wären die Täter Einzelpersonen, meist geht es um riesige Netzwerke mit mafiösen Strukturen. Auch das ist ein Grund dafür, dass es ihnen oft erfolgreich gelingt, "die Frauen einzuschüchtern und ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass die Zuhälter sie auf jeden Fall finden werden, wenn sie aussteigen" .

Um Strategien zu entwickeln, wie das Gewaltverhältnis durchbrochen werden kann, wollen die Forscherinnen ausführliche Interviews mit Betroffenen führen, die selbst den Ausstieg geschafft haben. "Wir dürfen uns dabei nicht nur auf die wissenschaftliche Abstinenz und Distanz zurückziehen, sondern müssen mitunter auf unsere Erfahrungen bei Beratungen im Traumabereich zurückgreifen", sagt Gahleitner, die selbst ausgebildete Psychotherapeutin ist. Sehr wichtig sei bei diesen Interviews auch, dass die Anonymität gewahrt wird, sagt Katharina Gerlich von der Donau-Uni Krems, die ebenfalls am Projekt beteiligt ist. Etwa muss darauf geachtet werden, wo die Informationen abgespeichert werden.

Warum falsche Versprechungen greifen

Die meisten Prostituierten in Österreich sind Frauen, vereinzelt sind auch Männer betroffen, und eine Gruppe, die unter besonderer Diskriminierung leidet, besteht aus Transsexuellen. Ihre Rolle in der österreichischen Prostitutionsszene wurde bisher nicht erforscht - das Projekt Primsa will sich diese Gruppe erstmals ansehen. Menschenhändler verschleppen ihre Opfer aus vielen Ländern nach Österreich, vor allem Osteuropa, Afrika und Asien. Auch rechtliche Rahmenbedingungen sollen analysiert werden: Oft wollen betroffene Frauen deswegen nicht mit den Behörden in Kontakt treten, weil sie illegal im Land sind und, sobald sie aussagen, die Ausweisung droht.

Warum die falschen Versprechungen, die Menschenhändler den Frauen machen, nach wie vor greifen, erklärt Gerlich, die in Soziologie promoviert hat, mit der enormen Armut, von der die Opfer betroffen sind. "Wenn man aus so desolaten Verhältnissen kommt, hat jede kleinste Hoffnung eine magische Kraft." Zusätz- lich würden die Täter sehr schnell "rohe Gewalt" anwenden, sagt Gahleitner. Massiven Verprügelungen und Vergewaltigungen ausgesetzt, sind die Frauen schnell in so großer Verzweiflung, "dass sie gar nicht mehr die Kraft haben, sich herauszubewegen". Letztlich hofft das Team, dass es das Projekt schafft, "einen kleinen Beitrag für mehr Sicherheit für die betroffenen Frauen zu leisten". (Tanja Traxler, DER STANDARD, 1.4.2015)