Sie ist die nette Milliardärstochter von nebenan: Kendall Jenner kann gelassen in die Zukunft schauen.

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Sie sind beste Freundinnen und wetteifern um den Model-Thron: Cara Delevingne und Kendall Jenner.

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Wir haben hautnah miterlebt, wie sie erfahren musste, dass sich ihre Eltern trennen. Wir waren dabei, als sie bei der Führerscheinprüfung durchfiel und am Lenkrad bitterlich weinte. Und wenn es der Gott der Reality-Formate möchte, werden wir vielleicht demnächst auch gespannt beobachten können, wie ihr Vater Bruce Jenner, der Ex-Leichtathlet, seinen Kindern mitteilt, dass er eine Geschlechtsanpassung vornehmen möchte und in Zukunft als Frau leben wird.

Kendall Jenner, 1995 in Los Angeles geboren, ist die nette Milliardärstochter von nebenan. Ihr Leben ist dank diverser Reality-Formate ein offenes Buch. Als Halbschwester der medialen Miss Omnipräsent, Kim Kardashian, wuchs sie vor den Augen der Öffentlichkeit in der Fernsehshow Keeping up with the Kardashians auf. Mit 14 begann sie ihre Modelkarriere, mittlerweile läuft sie unter anderem für Chanel und ist das neue Gesicht der Beauty-Marke Estée Lauder. Das junge, rasant aufstrebende Model scheint Superstar Cara Delevingne gerade massiv das Wasser abzugraben - obwohl die beiden natürlich die besten Freundinnen sind.

Jenner sei, wie die Süddeutsche Zeitung jüngst in einer Kolumne über "Das Prinzip Kardashian" süffisant feststellte, zwar nicht hübscher als andere Models, aber sie habe etwa 17 Millionen mehr Instagram-Follower. Das unterscheidet sie grundlegend von anderen Mädchen, die ebenfalls von der großen Modelkarriere träumen. Selbst die versnobtesten High-Fashion-Labels machen mittlerweile einen Kniefall vor der amtierenden Prinzessin von Instagram (19,5 Mio. Abonnenten, ihre Kollegin Cara kommt "nur" auf 9,6 Mio.). Schließlich geht es um Reichweite. Warum einen No-Name als Supermodel aufbauen, wenn man auch jemanden haben kann, der bereits jede Menge Fans mitbringt? Warum investieren, wenn man auf einen fahrenden Promi-Zug aufspringen kann?

Geld gesellt sich gern zu Geld

In der Modewelt ist es im Moment nicht anders als im wirklichen Leben: Geld gesellt sich gern zu Geld. Man bleibt unter sich. Man investiert lieber in bestehendes Kapital als in Risiko.

Promis sind in der Modewerbung gerade omnipräsent, und das wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken. Das New Yorker Online-Modemagazin Fashionista analysierte diesen Jänner "Celebrity Casting" als zentralen Marketing-Trend. Freilich, ganz neu ist die Tendenz, auf Promi-Werbung zu setzen, nicht: Bereits Schauspieler und Rapper Mark Wahlberg posierte 1992 für Calvin Klein in Unterhosen. Aber Justin Biebers digital aufgeblasene Muskeln brachen in der aktuellen CK-Werbung alle Rekorde: Laut Fashionista hat Calvin Klein zusätzlich 3,6 Millionen Follower durch die Bilder in sozialen Medien gewinnen können. Kein Wunder also, dass uns inzwischen in jeder zweiten großen Kampagne ein bekanntes Gesicht entgegenstrahlt.

Justin Bieber brachte Calvin Klein Millonen zusätzlicher Follower.
Foto: Calvin Klein

Popstar Miley Cyrus posierte für Marc Jacobs, Schauspielerin Kristen Stewart für Chanel, Rihanna, Kanye West und Kim Kardashian für Balmain, Joni Mitchell für Hedi Slimanes Saint Laurent, und Julia Roberts wirbt mit strenger Miene für Givenchy. Auch die Liste an Kindern, die in die Fußstapfen ihrer berühmten Eltern treten, ist schier endlos: Brooklyn Beckham (16) modelt ebenso wie sein Bruder Romeo (12) mit einer kolportierten Tagesgage von 57.000 Euro.

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Beckham Zögling Romeo.
Foto: AP

Patrick Schwarzenegger (21), aktueller Lover von Miley Cyrus, wirbt für Tom Ford Eyewear, Hayley Hasselhoff (22) ist als Plus-Size-Model gut im Geschäft. Der 17-jährige Sohn von Jude Law, Rafferty Law, lief für die Schau von DKNY, und sogar Egypt Dean, der dreijährige Sohn von Sängerin Alicia Keys und Produzent Swizz Beatz, war 2014 für Ralph Lauren auf dem Catwalk. Nicht zu vergessen Ireland Baldwin, die Tochter von Kim Basinger und Alec Baldwin, deren Beziehung und Break-up zur Rapperin Angel Haze auf Instagram ausgiebig dokumentiert wurde.

Imran Amed, Gründer der Online-Modezeitung The Business of Fashion, meinte jüngst im Gespräch mit dem Interviewmagazin The Talks, es ginge in Sachen Marketing vor allem darum, die Kunden durch möglichst intim wirkende Bilder bei ihren Emotionen zu packen. "Die Idee der perfekten Modefotografie wird ergänzt durch authentische Aufnahmen auf Instagram und anderen Plattformen", sagt Amed.

Selbst ist der Paparazzo

Kendall Jenner und Cara Delevingne sind Vorreiterinnen dieser neuen Bilderwelt, die möglichst ungeschönt sein möchte. Die beiden sind selbst ihre besten Paparazzi. Cara zieht gern eine lustige Fratze und knutscht mit Kolleginnen herum. Man sieht die Jet-Set-Girls aber auch beim gemütlichen Abhängen daheim, mit Pickel im Gesicht und verkatert. Es ist schließlich langweilig, immer nur schön auszusehen. Die großen Labels suchen gerade verstärkt nach Models, die einem Gesetz gehorchen, das Paris Hilton (allerdings nur 3,9 Mio Instagram-Fans) schon früh kultiviert hat: Sie müssen Natural Born Selbstvermarktungskünstlerinnen sein, Social-Media-Expertinnen, an die sich Luxuslabels fast schon parasitär dranhängen.

Um die Relationen zu verstehen: Wenn Kim Kardashian ein Foto auf Instagram teilt, sehen das 27 Millionen Menschen, die amerikanische Vogue hat etwa 1,2 Millionen Auflage und bloß drei Millionen Instagram-Fans. Diese Explosion der Werbekanäle trifft auf eine Modewelt, die sich gerade ohnehin gravierend im Umbruch befindet. Sowohl das Label Viktor & Rolf als auch Altmeister Jean Paul Gaultier haben angekündigt, ihre Ready-to-wear-Linie einzustellen. In Zukunft gibt es nur mehr sündteure Couture und Parfums. Eine eigenwillige Kombination, die Experten skeptisch macht.

Julia Roberts wirbt für Givenchy...
Foto: Givenchy

Zugespitzt gefragt: Ist Kleidung nur mehr ein schickes Werbetool, um Handtaschen an den Kunden zu bringen? Sind die teuren Couture-Shows und die Bilder der Stars nur dazu da, um ganz banal den Verkauf von Parfums anzukurbeln? "Es geht in der Mode nur mehr am Rande um Mode", analysiert die amerikanische Journalistin Dana Thomas, deren Buch Gods and Kings: The Rise and Fall of Alexander McQueen and John Galliano gerade erschienen ist: "Es geht um Accessoires und Handtaschen, Schuhe, Sonnenbrillen, Parfums.

...Joni Mitchell für Saint Laurent.
Foto: Saint Laurent

Es dreht sich alles um diese hochprofitablen Gegenstände, die man weltweit leicht verschiffen und verkaufen kann, bei denen man keine unterschiedlichen Größen produzieren muss und die nicht aus der Mode kommen." In der Tat beobachten wir eine "McDonald's-ization of fashion", wie Imran Amed es nennt: Von Australien über China bis Frankreich werden dieselben Produkte verkauft. Man kann noch so weit reisen und bekommt doch nur wieder das, was es daheim auch gibt.

In nächster Zeit werden wir verstärkt feststellen, dass weltweit ohne die Kardashians nichts geht, schon gar nicht in der Mode. Kendalls jüngere Schwester Kylie (17) modelt jetzt auch, sie möchte in die Fußstapfen ihrer Schwester treten. Wenn sie genug Follower auf Instagram und Facebook hat, wird ihr das zweifellos auch gelingen. Vergangenen März holte die strenge Anna Wintour bereits Kanye West und Kim Kardashian auf das Cover der Vogue.

Kim Kardashian und Kanye West auf dem Vogue-Cover.
Foto: Vogue

Ob ihr das nun gefällt oder nicht: "Kimye" sorgen für Quote. Als die US-Präsidentengattin Michelle Obama am Cover war, verkaufte sich das Magazin immerhin 300.000-mal, bei "Kimye" stiegen die Zahlen auf 500.000 Exemplare. Da bleibt Wintour wohl nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wie jüngst auf der Fashion Week in New York, wo Kanye seine Kollektion für Adidas präsentierte und Wintour neben Kim und ihrer auf Modenschauen gerne dauerbrüllenden Tochter North West sitzen musste. (Karin Cerny, Rondo, DER STANDARD, 10.4.2015)