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Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz: Frauen wie Ola Shahba waren an vorderster Front dabei.

Foto: AP/Tara Todras-Whitehill

Arabelle Bernecker, Susanne Glass
Schwestern der Revolution
Aktivistinnen im Kampf gegen Diktatur und Unterdrückung
Mit Fotografien von Bernd Kolb
Herbig Verlag 2015

Foto: Herbig Verlag

Sind Frauen die besseren Revolutionäre? Diese provokante Frage stellen die beiden Autorinnen Arabelle Bernecker und Susanne Glass im Vorwort ihres Buchs "Schwestern der Revolution. Aktivistinnen im Kampf gegen Diktatur und Unterdrückung". In der Porträtsammlung mit Fotografien von Bernd Kolb zeichnen sie das Bild von zwölf Frauen, die in unterschiedlichen Ländern für ihre politischen Überzeugungen kämpfen. Unter Einsatz ihres Lebens und mit friedlichen Mitteln.

"Wissen Sie, was eine 9-Millimeter ist? Das war meine Waffe", sagt Houria Toubal, "Ancienne Combattante" aus Algerien, der Journalistin und Politologin Arabelle Bernecker. Diese Waffe hatte sie aber nicht, um damit jemanden anzugreifen, sondern um sich im Fall einer Verhaftung durch die Franzosen im Algerienkrieg als Geheimnisträgerin selbst zu erschießen. Die heute 76-Jährige erzählt von ihrem freiwilligen Einsatz in Lazaretten in Höhlen, der Hitze, dem Hunger und dem Verlust von MitkämpferInnen.

Direkt in die Schusslinie

Es ist eine der besonderen Qualitäten dieses Buches, dass es Frauen unterschiedlichster Generationen zu Wort kommen lässt. Lebt Houria heute als Großmutter von drei Enkelkindern friedlich in Annaba, wissen Aktivistinnen wie Breza aus Belgrad und Ola Shahba aus Ägypten nicht, ob es für sie und die Gesellschaftsordnung, die sie anstreben, ein Happy End geben wird. Breza, sie möchte ihren Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht genannt wissen, arbeitet seit 2007 für das serbische Centre for Applied Nonviolent Action and Strategies (CANVAS), für das sie weltweit Workshops für demokratische Aktivitäten organisiert.

Sie erzählt der Südosteuropa-Spezialistin Susanne Glass, die als Kriegsberichterstatterin für die ARD mit 29 Jahren in den Kosovo ging, von ihrer politischen Sozialisierung. Breza, im nordserbischen Subotica als Kind des "ethnischen Multikulti" geboren, war zu Kriegsbeginn gerade einmal zehn Jahre alt. Im Jahr 2000 ging sie zum Studium nach Belgrad und wurde Teil der StudentInnenorganisation Optor! (Widerstand), die maßgeblich am Sturz des serbischen Diktators Slobodan Milosevic beteiligt war. "Meine Generation hat den Machtwechsel bewirkt", sagt sie selbstbewusst. Ihre Erfahrungen im Umgang mit Polizeigewalt und friedlichem Widerstand gibt sie nun an AktivistInnen in Syrien oder Venezuela weiter.

"Ich bin nicht der Typ fürs Rampenlicht. Ich nehme es sehr persönlich, wenn ich angegriffen werde. Ich glaube generell, dass Männer öffentliche Attacken leichter wegstecken. Ich persönlich möchte lieber hinter den Kulissen an Projekten arbeiten und Strategien entwickeln", erklärt Breza. Ganz anders agiert zum Beispiel Ola Shahba. Sie sprang bei den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo direkt in die Schusslinie der Polizisten, um einen angeschossenen Kameraden aus dem Kugelhagel zu retten. "Das hat sich zufällig so ergeben", erzählt sie ganz unaufgeregt. In den nächsten Tagen ist sie als "Jägerin", also auf der gefährlichsten Position bei den Demos, im Einsatz: An vorderster Front räumt sie die Tränengasgranaten der Polizei weg.

Neue Formen der Revolution

Nach ihrer ersten Verhaftung ging sie direkt, ungewaschen und mit blutbefleckter Bekleidung ins Fernsehstudio und lieferte so den augenscheinlichen Beweis für die unmenschliche Behandlung. Auch ein zweites Video, das aufgenommen wurde, nachdem sie verschleppt, geschlagen und sexuell belästigt worden war, ging um die Welt.

Im Unterschied zu früher, arbeiteten die Autorinnen in ihren Porträts heraus, bleiben die Frauen und ihr Einsatz – zumindest in vielen Fällen – heute nicht mehr unsichtbar. Twitter, Facebook und Youtube erlauben andere Formen der Revolution, wenngleich sie den Preis nicht geringer machen, den manche Frauen für ihren Einsatz zahlen. "Normal kenne ich gar nicht mehr", sagt Ola. Heute liegt ihr Hauptaugenmerk darauf, eingesperrte Freunde zu betreuen und für deren Freilassung zu kämpfen. Dass sie auch verhaftete Muslimbrüder unterstützt, bringt ihr viel Kritik ein.

Dass es den Autorinnen gelingt, die vielen und so facettenreichen weiblichen Gesichter der Revolution zu zeigen – der Bogen reicht bis auf die Philippinen und Malediven –, ist sehr erfreulich. Weniger die etwas seltsame Umschlaggestaltung, die der sonstigen Qualität des Buches nicht gerecht wird. (Tanja Paar, dieStandard.at, 9.4.2015)