Heute wird auch der Begriff "Gesundheit" dazu genutzt, das Bild eines Frauenkörpers als ewige Baustelle zu zementieren, sagt Alena Thiem.

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Die deutsche Kugelstoßerin Nadine Kleinert bei der Arbeit. Als schöne und gesunde Körper werden diese Sportlerinnen jedoch nicht gehandelt.

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Kritik am herrschenden Schönheitsideal gibt es seit langem. Es übe enormen Druck aus, der Menschen krank macht. Die Zahl der Essstörungen nimmt tatsächlich rapide zu, rund 90 Prozent der Betroffenen sind Frauen und Mädchen. Im Fokus der Kritik steht meist das Ideal eines sehr schlanken Körpers. Doch auch sehr schlanke Frauen können gesund sein, ebenso wie dicke Menschen, moniert die Initiative Any Body Deutschland, die Teil des internationalen Netzwerks Endangered Bodies ist. Warum das französische Verbot dünner Models als Maßnahme gegen krankmachende Körperbilder der falsche Weg ist und was Dänemark besser macht, erklärt die Any-Body-Mitgründerin Alena Thiem im Gespräch mit dieStandard.at.

dieStandard.at: Setzen Schönheitsideale noch immer vorwiegend Frauen unter Druck?

Thiem: Zu einem überwiegenden Anteil schon. Aber uns geht es auch darum, dass sich das Schönheitsideal immer an weißen Menschen oder nichtbehinderten Menschen orientiert. Beispiele kennen wir zuhauf aus der Werbung. Egal ob es sich um eine Staubsaugerwerbung handelt oder um eine für ein Diätprodukt – es ist immer die gleiche Frau, die das Produkt präsentiert. Wir arbeiten dafür, dass die körperliche, aber auch die gesellschaftliche Vielfalt in der Öffentlichkeit widergespiegelt wird.

dieStandard.at: Sie kritisieren dennoch die in Frankreich ergriffene Maßnahme, Models, die einen bestimmten Body-Mass-Index (BMI) unterschreiten, von den Laufstegen zu verbannen. Damit will man ja gerade gegen ein normiertes Körperbild vorgehen.

Thiem: Erst einmal ist alles gut, was das extreme Schlankheitsideal thematisiert. Die Frage ist aber, wie. Das Gesetz ist insofern sinnvoll, als es zeigt, dass Bilder unsere Selbstwahrnehmung sehr stark beeinflussen. Das Gesetz geht aber davon aus, dass alle dünnen Frauen von Magersucht betroffen seien. Dadurch werden dünne Frauen stigmatisiert. Alle Körper sind unterschiedlich, und sie sind auch in diesen völlig unterschiedlichen Formen gesund.

dieStandard.at: Als Maßstab dafür, welches Gewicht gesund ist, wird der BMI schon länger kritisiert.

Thiem: Der BMI ist einfach eine Relation von Körpermasse und Körpergröße. Er bezieht aber etwa nicht ein, wie fit der Körper ist. Es gibt mittlerweile genug Hinweise, dass der BMI allenfalls als grobe Orientierung gelten kann. Er kann aber nichts über gesund oder ungesund, "zu dick" oder "zu dünn" aussagen.

dieStandard.at: Aber die Stigmatisierung dünner Frauenkörper steht doch in keinem Vergleich zu dem enorm diffamierenden Umgang mit dicken Menschen, oder?

Thiem: Das stimmt. "Skinny Shaming" ist nicht mit "Fat Shaming" gleichzusetzen. Dünne Frauen werden für ihren Körper auch gefeiert, während dicke Menschen eine ganz andere Art von Diskriminierung erfahren. Es gibt viele Geschichten über Arztbesuche wegen eines bestimmten gesundheitlichen Problems, bei denen die Ärztin oder der Arzt – ohne genau hinzuschauen – alles auf das Übergewicht schiebt.

dieStandard.at: Nochmals zurück zu den Maßnahmen in Frankreich. Abgesehen vom Maßstab BMI, was finden Sie daran noch falsch?

Thiem: Es geht dabei überhaupt nicht um Hilfsangebote für jene, die tatsächlich von einer Essstörung betroffen sind, sondern um Verbannung. Da hört das Gesetz in Frankreich auch schon auf. Einen viel besseren Ansatz gibt es etwa in Dänemark.

dieStandard.at: Wie sieht der aus?

Thiem: Dort ist die Danish Fashion Ethical Charter entstanden. Die kann von den Firmen freiwillig unterschrieben werden, wobei dazugesagt werden muss: Wer diese Charter nicht unterschreibt, wird auf eine Blacklist gesetzt und kann von großen nationalen Events wie der Danish Fashion Week ausgeschlossen werden.

Diese Charter setzt ethische Prinzipien: Die Firmen verpflichten sich mit der Unterschrift, regelmäßig Gesundheitschecks bei den Models durchzuführen. Das beinhaltet nicht nur die physische Gesundheit, sondern auch die psychische. Auch soll über gesunde Ernährung aufgeklärt werden. Wird an einer Person tatsächlich beobachtet, dass sie an einer Essstörung leidet, wird sie an Fachleute und Ärzte weitergeleitet. Hier steht also die gesamte Gesundheit im Vordergrund, nicht nur eine Zahl wie der BMI. 300 Unternehmen haben diese Charter schon unterschrieben.

dieStandard.at: Die Begriffe Gesundheit und Schönheit scheinen immer enger zusammenzuwachsen – können Sie das bestätigen?

Thiem: Ja, und wir leben in einer Kultur, die Gesundheit enorm feiert. Der Körper einer Kugelstoßerin wird in unserer Gesellschaft aber nicht als gesund gesehen, sondern nur die schlanke Frau, die Yoga macht. Die Kritik an dem Begriff "Schönheit" durch Organisationen wie unsere hat auch dazu geführt, dass man nun einfach den Begriff "gesund" verwendet, der aber auch ein eindimensionales Ideal beschreibt.

Wenn man die Bilder von olympischen Athletinnen anschaut, sieht man nur enorm fitte Frauen – die allerdings alle einen völlig unterschiedlichen Körper haben. Eine Radrennfahrerin unterscheidet sich von einer Balletttänzerin, und die wiederum völlig von einer Basketballerin. Der Gesundheitstrend verschleiert nur, dass es weiterhin darum geht, vor allem Frauen vorzuschreiben, wie sie auszusehen haben. Das Bild eines Frauenkörpers als ewige Baustelle wird so weiter aufrechterhalten.

dieStandard.at: Was kann man dagegen tun?

Thiem: Wenn wir Veränderungen wollen, wenn wir Vielfalt wollen, dann muss man endlich damit anfangen, neue Bilder zu kreieren. Die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle, auch wenn es im Redaktionsalltag schwer ist und das vorhandene Bildmaterial eingeschränkt ist. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 10.4.2015)