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So schön kann die Kleinfamilie aussehen. WilIiam und Kate mache es vor. In Zeiten von Optimierungszwängen ist Reue kein populäres Konzept.

Foto: AP/John Stillwell

Reue ist unangenehm. Man muss sich nicht zu den Fans von Edith Piaf zählen, damit einem die Zeile "Non, je ne regrette rien" geläufig ist. Reue ist kein sonderlich populäres Konzept. Es klingt zu sehr nach selbstverschuldeten Fehlern, und das in einer Gesellschaft, in der sich immer mehr mit dem Gedanken einrichten, dass alles im Leben schon richtig und wichtig gewesen sein wird, weil es einen schließlich hierher geführt hat. In Zeiten von Optimierungszwängen und dem Wunsch nach möglichst bruchlosen Erwerbsbiografien will man sich Reue einfach nicht mehr leisten. Wer also über etwas Reue empfindet, der hat das Gefühl, sich ernsthaft falsch entschieden und Lebenszeit verschwendet zu haben. Der hat etwas verloren, was er unbedingt zurückhaben will, weil er es dringend braucht.

Umso stärkeren Eindruck macht die aktuelle Debatte, in der Frauen anhand einer Studie unter dem Hashtag #regrettingmotherhood Zeugnis darüber ablegen, ob sie Muttersein als Bürde oder, wie es sich gesellschaftlich gehört, als große Erfüllung empfinden. Und umso stärker dröhnt die beklemmende Stille der Männer. Von hitzigen, klugen, bissigen oder traurigen Kommentaren zu #regrettingfatherhood fehlt abgesehen von wenigen rühmlichen Ausnahmen bislang jede Spur, zumindest im deutschsprachigen Raum.

Andere Maßstäbe für Vater

In den USA wurde an diesem Tabu schon vor Jahren erfolgreich gerührt, dort hat es sogar einen Vorgänger. Nämlich die ebenfalls tabuisierte Frage, ob Eltern eines ihrer Kinder gegenüber einem anderen bevorzugen dürfen. In beiden Fällen geht es um Gefühle, von denen Menschen erwarten, dass Eltern sie für ihre Kinder hegen sollten: bedingungslose Liebe, unverbrüchliche Dankbarkeit, ewige Glückseligkeit. Das scheint aber hierzulande vor allem Frauen zu betreffen, für Väter gelten offensichtlich andere Maßstäbe. Denen sitzt kein hehres Ideal im Nacken, das keine Ausnahmen kennt, einen vom Dorf bis in die Stadt verfolgt und um keine noch so unerfüllbare Erwartung verlegen ist. Welche Maßstäbe sind das? Ist es so, wie ein Nutzer auf Twitter formulierte, dass #regrettingfatherhood fast unbenutzt bleibt, weil Männer entweder einfach davonlaufen oder bessere Entscheidungen treffen?

Wir wissen es nicht, sie schweigen dazu. Vielleicht weil sie es, wie Beate Hausbichler schreibt, gar nicht nötig haben, Reue zu empfinden. Von ihnen werden keine lebensverändernden Entscheidungen, wird keine "völlige Neuausrichtung des Lebens auf Kinder" verlangt. Niemand erwartet, dass sie beruflich kürzertreten oder versuchen, immer für ihren Nachwuchs präsent zu sein. Diese Haftungsansprüche werden nur auf Frauen angewandt.

Vielleicht ist es aber auch etwas anderes, nämlich dass Väter sehr wohl Reue empfinden, und zwar dann, wenn sie nach einer Trennung das Gefühl haben, als Elternteil entsorgt zu werden.

Es bleibt eine Leerstelle, ein blinder Fleck. Eine emanzipatorische Problematik, die auch Männer betreffen müsste, aber scheinbar nur Frauen berührt. Frauen die beteuern, dass sie niemals Anlass gehabt hätten zu bereuen, oder die bekennen, dass sie bereuen. Dass sie es vermissen, mit ganzer Kraft ihr eigenes Leben vorantreiben zu können.

Die Frage ist nicht, ob jemand das Recht hat zu bereuen, für seine Kinder verantwortlich zu sein. Jede Entscheidung lässt sich bereuen, warum also nicht auch diese. Die Frage ist, was wir als Gemeinschaft tun können, damit dieses Gefühl der Reue sich nur aus unvermeidbarem persönlichem Empfinden speist und nicht durch vermeidbare äußere Umstände ausgelöst wird. Dass jeder Lebensentwurf ohne Kinder einen höheren Lebensstandard ermöglicht und Menschen den Eindruck haben, sie würden sich gegen die Gesellschaft und nicht mit ihr für Kinder entscheiden, ist da wenig hilfreich. Männer, die bei einer solchen Debatte angestrengt in eine andere Richtung starren, sind es übrigens auch. (Nils Pickert, dieStandard.at, 22.4.2015)