John Sailer erlebte als Kind die ersten Jahre der Zweiten Republik mit. Es war eine aufregende Zeit, erzählte der Leiter der Galerie Ulysses Wojciech Czaja. Vor allem in Kunst und Politik wurden große Kräfte frei.

"Ich bin 1947 mit neun nach Österreich zurückgekehrt. Anfangs haben wir in Hietzing in der britischen Besatzungszone gewohnt. Für mich war das Leben aufregend. Ich komme aus einem politischen Haus. Mein Vater Karl Hans Sailer war nach dem Februar 1934 ein Führer der sozialdemokratischen Untergrundbewegung, nach dem Krieg Redakteur der Arbeiter-Zeitung. Berühmte Politiker sind bei uns ein- und ausgegangen. In der Villa nebenan hat ein englischer Offizier gewohnt, mit dessen Kindern ich gespielt habe.

John Sailer in seiner Wohnung in einem ausgebauten Dachboden im ersten Bezirk. Sein Luxus: Licht, Holz und Bücher, darunter ein ganzes Regal von und über James Joyce. (Bildansicht durch Klick vergrößern)
Foto: Pilo Pichler

Die ersten Jahre der Zweiten Republik habe ich als spannend und dynamisch erlebt. Es herrschte Aufbruchstimmung. Ich habe das Gefühl, dass man mit mehr Elan und kreativer an die Lösung von Problemen herangegangen ist als heute. Der respektvolle Umgang mit Gegnern war ausgeprägter. Es gab ein ehrlicheres Bekenntnis zur Gesinnung, eine weniger von Lobbyisten und PR-Firmen geschmiedete Politik. Ich habe mich in dem Milieu wohlgefühlt.

Auch im Alltag war vieles möglich, was heute nicht mehr vorstellbar ist. Ich denke zurück an die frühen Sechziger, als ich auf Wohnungssuche war. Ich wusste, dass ich im ersten Bezirk wohnen wollte. Ich wusste aber auch, dass ich kein Geld hatte. Ich habe mir Häuser am Ring angeschaut, habe den Hausbesorgern jeweils 20 Schilling in die Hand gedrückt und gesagt: 'Ich würde mir gerne Ihren Dachboden ansehen!'

So wurde ich fündig. Also bin ich zum Hausbesitzer, einer Versicherung, gegangen und habe gemeint: 'Ich würde gerne Ihren Dachboden ausbauen.' Der Direktor hat mich angeschaut und gefragt: 'Ja, können Sie sich das denn überhaupt leisten?' Und ich: 'Nein, aber Sie werden mir einen Kredit gewähren, und was immer Sie mir an Geld geben werden, ich verwende es, um damit die Bausubstanz Ihres Hauses zu verbessern.' Wir sind handelseins geworden. Die Rückzahlung des Kredites plus einen Aufpreis ergab dann eine wertgesicherte Miete. Solche Konstruktionen wären wohl heute nicht mehr verhandelbar.

Der Umbau geschah phasenweise. Zu Beginn habe ich 60 Quadratmeter bewohnt. Wann immer ich wieder Geld hatte, habe ich die Wohnung erweitert, wobei ich mich bemüht habe, jeden Luxus zu vermeiden. Der einzige Luxus, den ich mir gönne: Licht, Holz und viele Bücher. Allein von und über meinen Lieblingsschriftsteller James Joyce habe ich ein Regal voll. Meine Lieblingslektüre heißt Ulysses. Das erklärt den Namen meiner Galerie.

Ich bin ein verhinderter Architekt. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass jemand einen Designer mit dem Einrichten beauftragt und sich einem fremden Geschmack unterwirft. So, wie die Wohnung heute aussieht, mit gewachsten Ahornböden und selbst entworfenen Möbeln, hat sie seit Anfang der Siebzigerjahre Bestand. Wenn Sie heute modern wirkt, könnte man sagen, das sei von jemandem zu erwarten, der sich zur Avantgarde bekennt. Man könnte aber auch sagen, dass ich ein steckengebliebener Bauhaus-Anhänger wäre. 'Less is more' war immer mein Prinzip. Ich würde die Wohnung als im Ansatz minimalistisch bezeichnen, wobei der puristische Minimalismus durch Schlamperei gemildert wird. Was nicht fehlen darf: Kunst. Die Bilder stammen von engen Freunden. Ich denke gerne an Hollein, Pichler, Rainer, Prachensky und Hollegha. Welche kreativen Kräfte hat doch unsere Kultur hervorgebracht!" (DER STANDARD, 25.4.2015)