Yegbe, Krisztina, Wioleta, Suzana und Alicja lernen im Kurs "Mama lernt Deutsch", über Themen aus ihrem Alltag zu sprechen.

Foto: Robert Newald

Wien – An zwei Tagen pro Woche sitzt Alicja für drei Stunden im kleinen Lernraum einer Volksschule in Wien-Ottakring. Ihre 17 Monate alte Tochter besucht den Kindergarten im gleichen Haus. Die 32-Jährige ist eine von acht Frauen, die hier den "Mama lernt Deutsch"-Kurs der Stadt Wien besuchen.

"Es ist sehr schwierig, wenn man in Wien lebt und kein Deutsch spricht", sagt Alicja: "Ich habe mich oft nicht getraut nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstanden habe." Bei Amtswegen und im Kindergarten hatte sie die größten Probleme. Sie habe mit ihrem Mann und ihren Freunden in den vergangenen Jahren in Österreich vor allem polnisch gesprochen. Allerdings sei sie ganz gut zurechtgekommen. "Ich habe immer meine Schwester mitgenommen", sagt die gebürtige Polin. Diese spricht fließend Deutsch und musste die Behördengänge regeln. Irgendwann war aber Schluss: "Sie meinte, ich müsse das jetzt allein machen." Mittlerweile geht Alicja ihre Wege allein, aber sie ist vorbereitet und mit einem Wörterbuch ausgestattet – zur Sicherheit.

Der Mann am Telefon

Ihre Kurskollegin Yegbe kennt diese Situation. Sie nahm einfach immer das Telefon mit und ließ ihren Mann übersetzen. Der wollte in Österreich eigentlich nur sein Studium absolvieren, bekam aber nach dem Abschluss einen Job und blieb. Yegbe zog mit ihm nach Wien. "Ich hatte Angst, wenn ich allein zum Arzt ging, weil ich nichts verstand", sagt die Teilnehmerin aus Togo.

Durch den Sprachkurs und den Austausch mit den anderen Frauen sei sie mittlerweile viel selbstbewusster geworden: "Jetzt sage ich den Leuten einfach, dass sie langsamer sprechen sollen." Um Deutsch zu lernen, nimmt sie eine kleine Reise durch die Stadt auf sich: Von Wien-Döbling aus bringt sie ihre Tochter in den Kindergarten in der Leopoldstadt und fährt dann nach Ottakring. "Ich will meine Ausbildung machen und dann arbeiten, zu Hause bleiben ist nichts für mich", sagt sie. In ihrer früheren Heimat war Yegbe Krankenpflegerin.

Im Kurs nehmen die Frauen Grammatik durch. Es werden Beispiele für Genitive auf einem Flip-Chart gesammelt. Die Frauen scherzen dabei miteinander. In den Aufzählungen kommen Alltagsgegenstände vor. "Die Stifte des Lehrers" oder "Yegbes Trinkflasche" steht auf dem weißen Blatt mit blauen Linien. Die Frauen tuscheln und stupsen sich ermutigend an. Auch wenn einige die Muttersprache teilen, fällt im dritten Stock der Volksschule kein Wort in der Erstsprache der Frauen.

Bei Yegbe zu Hause werden viele Sprachen gesprochen: "Mit meinem Mann spreche ich nicht deutsch zu Hause. Er will das nicht, das spricht er den ganzen Tag in der Arbeit", erzählt die 38-Jährige. Mit ihm redet sie in seiner Muttersprache Ewe, eine der Kwa-Sprachen, die in Togo gesprochen werden. Mit ihrer Familie unterhält sich Yegbe in ihrer eigenen Muttersprache Fon. Alle verbindet das Französische, die Amtssprache Togos. Deutsch spricht sie vor allem mit einer: ihrer vierjährigen Tochter. "Sie prüft mich immer", scherzt sie. Auf dem Heimweg vom Kindergarten muss die Mutter der Tochter Farben, Dinge oder Zahlen benennen. "Es kommt aber auch immer wieder vor, dass wir daheim die Sprachen vermischen."

Auch Krisztina lernt gemeinsam mit ihrer Tochter: "Ich helfe ihr bei den Hausaufgaben und sie mir bei meinen Referaten für den Deutschkurs." Zu Kaiserin Sisi zum Beispiel schrieb sie die Texte und recherchierte. Die Tochter musste dann darüberlesen und etwas korrigieren.

Niederschwelliger Zugang

"Es ist ein spezifisches Angebot für Mütter", sagt Marlies Krumpeck von der Magistratsabteilung für Integration und Diversität. "In der Praxis ist es einfach so, dass die Papas arbeiten gehen und die Mamas die Kinderbetreuung übernehmen." In den heuer 69 Kursen werden vor allem Themen aus dem Alltag der Frauen behandelt: Zwei Jahre stehen etwa Gesundheit, Kindererziehung oder Lebensläufe auf dem Programm. Am Ende schließen die Frauen mit dem Sprachlevel A1 (Anfängerin) oder A2 (Grundlagen) ab. Heuer absolvieren insgesamt 600 Frauen den Kurs.

Der Kurs speziell für Mütter soll möglichst niederschwellig zugänglich sein. "Viele Frauen haben Angst vor zu großen Bildungseinrichtungen, hier kennen sie Gebäude und Direktion schon von ihren Kindern", sagt Krumpeck. Die Frauen seien oft viel zu Hause oder in der Community. "Wir beginnen ab der Alphabetisierung der Frauen", sagt Krumpeck, "es gibt aber natürlich auch höhere Kurslevels." Der Kurs soll nur ein Einstieg für weitere Bildung sein. Neben der Kinderbetreuungsmöglichkeit ist auch die kostenlose Teilnahme ein Grund, weshalb die Frauen sich gerade für "Mama lernt Deutsch" entscheiden.

Frauen unter Frauen

Dass die Frauen unter sich sind, würde vielen Frauen auch helfen. Die Erlebnisse und Probleme, vor denen sie stehen, seien oft dieselben. Im Kurs können sie sich austauschen, es wird getratscht und gelacht. "Meine Tochter ist im Gymnasium. Sie ist die Beste in Deutsch", sagt Suzana stolz. "Mein Sohn hat da ein bisschen mehr Probleme", fügt sie lachend hinzu. Vor 20 Jahren ist Suzana von Mazedonien nach Wien gezogen, wo sie ihren Mann kennengelernt hat. Der kommt ebenfalls aus Mazedonien, sogar aus derselben Stadt: "Es ist eigentlich ein kleines Dorf, jeder kennt jeden, aber wir haben uns erst in Österreich kennengelernt", erzählt Suzana den anderen Frauen. Ihr Mann spricht "perfekt Deutsch, er lebt und arbeitet seit 30 Jahren hier", weshalb Suzana keine Notwendigkeit hatte, die Sprache zu lernen.

Als sie mit "Mama lernt Deutsch" begonnen hat, wollte Suzana vor allem auch eines: Kontakt mit anderen Leuten finden, mit Personen, die nicht Albanisch sprechen. "Ich habe hier viele Freundinnen gefunden", sagt sie. Wenige Minuten vorher ging auch ein Briefchen rum, wie in der Schule, an Alicja. "Ich wollte ihre Nummer haben", sagt die 45-Jährige.

"Mit kleinen Kindern sind deine Hobbys Im-Park-Sitzen und Im-Sand-Spielen", sagt Wioleta. "Da lernt man nicht so viele Freundinnen kennen." Davor ging sie gerne tanzen. Dafür hat sie kaum noch Zeit. Wioleta kommt wie Alicja ursprünglich aus Polen. Ihre Heimat vermisst sie gelegentlich noch. "Es gibt Dinge, die sind hier nicht so gut wie zu Hause", lacht sie. Die Mayonnaise zum Beispiel. Im Sechzehnten und Siebzehnten wäre allerdings "ein polnisches Nest" mit Geschäften und Lokalen. Allerdings würde man dann zu viel in der eigenen Sprache bleiben. "Ich habe zum Glück keine polnischen Nachbarn, darum muss ich mit ihnen deutsch sprechen", sagt Wioleta. (Oona Kroisleitner, derStandard.at, 28.4.2015)