Mit seiner Gruppe Liquid Loft hat der aus dem burgenländischen Schattendorf stammende Choreograf Chris Haring "False Colored Eyes" entwickelt.

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STANDARD: Ihre neue Stücke-Serie "Imploding Portraits Inevitable" bezieht sich auf Andy Warhols "Exploding Plastic Inevitable", eine Reihe hipper Club-Events in New York von 1966/67. Was ist daran interessant?

Haring: Das waren die ersten Medienevents der Clubkultur. Velvet Underground hat das erste Mal gespielt, die Leute wurden mit Stroboskoplicht und mit Filmprojektionen überfordert ...

STANDARD: Warum sind für Sie auch Warhols "Screen Test"-Filme wichtig?

Haring: Wegen des Links zu den heutigen sozialen Medien: Die dort praktizierte Form der Selbstdarstellung kann sich nicht mehr selbst optimieren, denn mittlerweile gibt es unzählige Plattformen, und du wirst immer auf dasselbe zurückfallen. In den Screen Tests brachte Warhol die Selbstdarstellung auf die Ebene der Kunst und gab den Personen den Platz dafür, zu sein, was sie sind.

STANDARD: Wie kommt es von Warhols Explosion zu Harings Implosion?

Haring: Exploding Plastic Inevitable, die Screen Tests und Filme wie Chelsea Girls sind historische Beispiele für die aktuelle Selbstoptimierung in den neuen Medien - beides führt zu einem Überquellen. Und wenn ein System überquillt, aber nach außen keinen Platz für eine Explosion hat, muss es implodieren. Daher Imploding Portraits ...

STANDARD: Ihre Gruppe Liquid Loft gibt es jetzt seit zehn Jahren. Hat die Geburt nicht unter einem Science-Fiction-Stern stattgefunden?

Haring: In den 1990-er Jahren hat man noch an kybernetische Organismen geglaubt. Diese Auseinandersetzung mit Science Fiction ist seitdem fast aufgegeben worden, weil es heißt, wir sind eh schon genmanipulierte Cyborgs, die neue, künstliche Dinge wachsen lassen. Wir haben es uns einfach gemacht: das System nicht verändert, sondern nur die Werkzeuge ausgewechselt.

STANDARD: Ist Ihre neue Stücke-Serie mit der vorangehenden, "The Perfect Garden", verbunden?

Haring: Die stärksten Verbindungen sind das Vergängliche - wie es sich auch in Warhols 15 minutes of fame widerspiegelt - und das Unvermeidliche ("inevitable"): das Altern des Körpers genauso wie das Verpuffen der performativen Kunst. Man kann dokumentieren, wie man will, aber was man als Tänzer auf der Bühne erlebt, lässt sich kaum festhalten. Warhol konnte seine Zeit extrem gut verwerten, und das kann fast eins zu eins in die Gegenwart übersetzt werden. Bei False Colored Eyes werden zwei Livekameras eingesetzt - um zu vergrößern und um bestimmte Perspektiven zu zeigen, die die Performer sehen, das Publikum aber nicht. Die Kameras tanzen mit.

STANDARD: Wie kommt es zu der Zusammenarbeit mit dem Burgtheater?

Haring: Den vom Burgtheater betriebenen Raum im Kasino fanden wir schon immer toll. Zudem gibt es eine Kollaboration des Burgtheaters mit dem Impulstanz-Festival.

STANDARD: Ist das wie zuvor bei der Needcompany mit einer Residency verbunden?

Haring: Ich glaube, es ist ein Anfang. Ich kann mir vorstellen, dass das, wenn es jetzt funktioniert, weitergeht, und zwar nicht nur mit uns. Wir sind keine Tanztruppe im klassischen Sinn, sondern arbeiten viel mit Sprache und Stimme. Dadurch sind die Berührungsängste etwas kleiner geworden. Für mich ist das logisch. Es wird sowieso in jeder Richtung übergreifend gearbeitet.

STANDARD: Wie hat sich der Tanz seit Mitte der Nullerjahre verändert?

Haring: Man hat inhaltlich nach gesellschaftlichen Stereotypen gesucht, um sich dazwischen positionieren zu können. Jetzt geht es wieder an die Ränder. Jenseits der Positionierung als Mann oder Frau geht man über alle körperlichen Grenzen hinaus bis dahin, etwa ein Möbelstück zu werden - so wie die Künstlerin Jakob Lena Knebl. Bühnentanz war ja ursprünglich abstrahierte Bewegung. Verglichen mit der bildenden Kunst: Abstrakte Bilder wären im 20. Jahrhundert ohne Wissen, worum es geht, nicht lesbar gewesen. Im Tanz ging es aus der Abstraktion ins Konkrete, aber wenn es dort bleibt, verliert die Kunstform ihre Motivation. Ich kann mir vorstellen, dass man 2015 ein Bühnenstück ganz anders rezipiert als 2009 oder 2006.

STANDARD: Wieso?

Haring: Durch die Art, wie wir Neue Medien und Gadgets nutzen. Bühnenkunst hat immer noch etwas mit Repräsentation in unserer Alltäglichkeit zu tun. Wenn in den 1990er-Jahren mit einer Kamera auf der Bühne gearbeitet wurde, galt das damals als "Multimedia". Jetzt hat es nicht mehr dieselbe Bedeutung und wäre so, als würde ich für die Jugend, die mit der Handykamera aufwächst, ein Stück mit Kerzenlicht machen.

STANDARD: Was fehlt heute im Tanz?

Haring: Ich vermisse die lauten Persönlichkeiten in der Szene. Die Pioniere, die sich für ein Tanzhaus eingesetzt haben und dergleichen. Man hat Alternativen gesucht und sich irgendwie geeinigt. Ich glaube, zu früh. Für mich ist die Szene ein kleines Universum, in dem Politiker, Organisatoren, Networker, Choreografen, Kritiker, Publikum und natürlich die Tänzer beziehungsweise Performer zusammenarbeiten sollten. Kulturpolitisch wird dieses Universum leider nur kategorisiert, in eine bestimmte Schublade gesteckt. Das geht mir auf die Nerven.Vor zehn Jahren konnte ich als Choreograf ein Hörspiel machen und war trotzdem Choreograf. Jetzt, habe ich das Gefühl, will man wieder einteilen und sortieren. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 28.4.2015)