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2013 wurde das Programm "Cover Oregon", ein Marktplatz für Gesundheitsleistungen, vorgestellt.

Foto: ap/Don Ryan

Was mir als Erstes zum US-amerikanischen System einfällt, ist, dass es kapitalistisch ist. Das bedeutet, man muss für Leistungen, die in vielen europäischen Demokratien von der Allgemeinheit getragen werden, selbst aufkommen. Das fängt bei den Kosten für Schwangerschaftsbetreuung und Geburt an, geht über die Kinderbetreuung weiter zur schulischen und später zur universitären Ausbildung.

Bildungschancen und der Zugang zu guter medizinischer Betreuung sind stärker von den freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers und vom Einkommen abhängig, als das in Österreich der Fall wäre. Es gibt zwar ein öffentliches Bildungssystem, das genießt aber nur wenig Ansehen. Wer es sich leisten kann, lässt seine Kinder schon früh privat betreuen. Ein öffentliches Gesundheitssystem im europäischen Sinne gibt es hier nicht, denn die meisten Einrichtungen werden profitorientiert geführt. Kosten für medizinische Betreuung sind immer noch einer der häufigsten Gründe, warum sich Leute verschulden.

Seit etwas mehr als vier Jahren leben meine Frau und ich in Portland im Bundesstaat Oregon. Unsere Tochter wurde hier geboren und ist zwei Jahre alt. Wir sind in der glücklichen Lage, von unserem Arbeitgeber ein sehr gutes Benefitspaket zu bekommen, wodurch die Kosten für medizinische Betreuung stark abfedert werden. Alles andere kommt aber aus unserem eigenen Budget.

Schwangerschaft nicht ohne Finanzierungsberatung

Unsere Tochter kam unter Mithilfe einer Hebamme im Wohnzimmer zur Welt. Zur Schwangerschaftsbetreuung mussten wir in ein Krankenhaus. Dort bot man uns eine Finanzierungsberatung für dieses freudige Ereignis an. In den USA ist es üblich, sich schon bei Schwangerschaftsbeginn einen Kostenvoranschlag für alle Untersuchungen, Tests und die Geburt machen zu lassen. Mit etwa 10.000 Dollar (rund 11.000 Euro) aufwärts muss man rechnen, wobei natürlich viel vom Schwangerschaftsverlauf und der Art der Geburt abhängt. Wer Kaiserschnitt und einen längeren Aufenthalt im Spital braucht, zahlt dementsprechend mehr. Bei einer Hausgeburt sind die Kosten für die Hebamme mit etwa 4.000 Dollar zwar niedriger, man hat aber auch nicht die Infrastruktur eines Krankenhauses zur Verfügung, auf die man in Notfall zurückgreifen muss. Die Kosten spielten bei unserer Entscheidung, auf eine Hebamme zu vertrauen, nicht die größte Rolle.

Grundsätzlich funktioniert die Krankenversicherung wie eine Autoversicherung. Man wählt ein Paket für bestimmte Leistungen aus. Die Prämien richten sich nach dem Leistungsumfang und dem Selbstbehalt. Seit "Obamacare" muss man sich ja versichern; die Auswahl an Leistungen ist überwältigend, über die unten angeführten Links können Sie sich ein davon ein Bild machen.

Wer Glück hat, kann an einer günstigen Gemeinschaftspolizze, die von manchen Arbeitgebern als Serviceleistung angeboten wird, teilnehmen und bekommt dadurch einen Teil der Prämien subventioniert. Doch sogar mit einem guten Versicherungsschutz muss man im Bedarfsfall einen Teil der Kosten selber tragen, was mitunter teuer werden kann.

Kurze Karenzzeiten

In den USA hat man per Gesetz Anspruch auf zwölf Wochen – ja, Wochen – unbezahlter (!) Karenzzeit. Der Arbeitgeber kann aber bessere Konditionen anbieten, etwa sechs Wochen bezahlten Urlaub bei natürlicher Geburt oder acht Wochen bei Kaiserschnitt innerhalb des gesetzlichen Zeitrahmens. Viele Frauen gehen erst spät in Karenz, um die Zeit nicht schon vor der Geburt zu verbrauchen, es sei denn, es geht aus gesundheitlichen Gründen wirklich nicht mehr. Es ist auch gängige Praxis, die Geburt einzuleiten oder überhaupt einen Kaiserschnitt zu planen (Stichwort "Designer Birth"). Somit ist der Termin schon Wochen vorher bekannt.

Der Arbeitgeber meiner Frau war extrem kulant, weshalb sie an die bezahlte Zeit noch Resturlaub und einige Wochen unbezahlten Urlaub anhängen konnte. Insgesamt hat sie fünf Monate in Karenz verbracht. Ich war damals arbeitslos – oje, ein Loch im Lebenslauf –, und obwohl die Situation damals finanziell nicht so rosig war, wurde es eine wunderschöne Zeit. Wir konnten uns voll auf alles konzentrieren, was uns dieser Lebensabschnitt an Neuem und Schönem bereitete, und auch die weniger angenehmen Dinge ließen sich gemeinsam besser bewältigen. Wir hätten es nie so geplant, würden es aber jederzeit wieder so machen!

Breites Angebot an Kinderbetreuung

Bei der kurzen Karenzzeit erübrigt sich die Debatte über Karrierenachteile. Allerdings muss man sich schon nach einigen Monaten um einen Kinderbetreuungsplatz kümmern. Es ist deshalb keine Seltenheit, Kinder schon mit drei Monaten in Ganztagsbetreuung zu geben. Es gibt ein breites Leistungsangebot, angefangen von Tagesmüttern, die Kinder daheim betreuen, über Krippen bis hin zu sogenannten Child-Development-Zentren, in denen vom Baby bis zum Kindergartenkind alle zu finden sind. Viele dieser Einrichtungen setzen auf Personal mit Universitätsausbildung und verwenden einen an die jeweiligen Altersgruppen angepassten Lehrplan.

Für einen Ganztagesplatz muss man etwa 1.000 Dollar aufwärts einplanen. Es gibt verschiedene Angebote, und wer will, kann für sein Kind auch das Doppelte bezahlen. Darum ist es nicht unüblich, ab zwei Kindern auf eine Nanny oder ein Au-pair zu vertrauen.

Zu Hause halbe-halbe und ein unamerikanischer Alltag

Unser Tag beginnt meist um 7 Uhr mit dem gemeinsamen Frühstück. Wir versuchen es so einzurichten, dass entweder meine Frau oder ich erst um 9 Uhr zur Arbeit gehe, damit für unsere Tochter die Zeit im Kindergarten nicht zu lang wird. Spätestens um 17 Uhr holen wir sie wieder ab. Wir wohnen in unmittelbarer Nähe zu unserer gemeinsamen Arbeitsstätte, und obwohl das in der Vorstadt ist, fahren wir ganz unamerikanisch mit dem Fahrrad. Noch dazu liegt der Kindergarten auf dem Weg, wodurch unsere Fahrt nur etwa 15 Minuten dauert. Wer zuerst daheim ist, bereitet das Abendessen zu, meine Frau und ich teilen uns die Hausarbeit auf. Das bedeutet nicht immer exakt halbe-halbe und richtet sich stark nach den Ansprüchen unserer Jobs. Einmal hat meine Frau einen höheren Stundenaufwand zu leisten, dann wieder ich. Phasen, in denen wir beide stark beansprucht werden, gibt es glücklicherweise nicht so oft.

Durch die Nähe unserer Wohnung zu unseren Arbeitsplätzen hat sich unsere Lebensqualität enorm gesteigert. Wir ersparen uns damit den Stress, mit einem kleinen Kind im Auto im Stau zu stehen, und haben außerdem noch mehr Zeit füreinander. Und Zeit ist sehr kostbar, wenn beide Eltern ganztags arbeiten.

Fazit

In den USA hängt sehr viel von den Leistungen des Arbeitgebers und dem Einkommen ab. Der ausgleichende Effekt, der dadurch entsteht, dass Leistungen von der Öffentlichkeit getragen werden, fällt hier weg. In allen Bereichen – Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit et cetera – gibt es ein breites Angebots- und Qualitätsspektrum. Der Zugang hängt allerdings von der eigenen Kaufkraft ab. (Michael Krasser, derStandard.at, 30.4.2015)