Die Expedithalle während der letzten Vorbereitungen zur Schau "Barrierefreiheit im Kopf".

Foto: Minkin/derStandard.at

Wien – Ein barrierefreies Kunstobjekt zu schaffen, also eines, das mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann, ist unmöglich. Kunst kann generell eine Barriere sein – wenn etwa ein Gemälde nur in einem bestimmten Licht ausgestellt werden darf oder kunsthistorische Kompetenz notwendig ist, um die Intention eines Werks zu verstehen. Wie Kunst und Kultur trotzdem allen Menschen, unabhängig von ihrer körperlichen oder geistigen Konstitution, vermittelt werden können – mit dieser Frage beschäftigt sich die Kunstausstellung "Barrierefreiheit im Kopf", die am Dienstagabend in der Expedithalle der Wiener Ankerbrotfabrik eröffnet wurde.

26 bildende Künstlerinnen und Künstler zeigen mit Skulpturen, Installationen, Skizzen, Fotografien und Gemälden ihre Interpretation von Inklusion. Dass für das Projekt Kunstschaffende mit und ohne Beeinträchtigungen zusammenarbeiteten, darauf ist Kurator Karim El Seroui besonders stolz. "Bei Events zum Thema Inklusion sind Hilfsorganisationen oftmals unter sich – so werden aber keine Barrieren in den Köpfen der Menschen abgebaut", sagt der Wiener Architekt und freischaffende Künstler im STANDARD-Gespräch. Um das Projekt zu realisieren, gründete er 2013 den Verein Lifespan. Geht es nach ihm, soll die inklusive Schau künftig jährlich zum Europäischen Tag der Inklusion am 5. Mai stattfinden.

Klänge mithilfe von Kopfbewegungen

In der ehemaligen Fabrikshalle sollen aber nicht nur die Kunstwerke Berührungsängste abbauen und Bewusstsein schaffen. Einen gedanklichen Anstoß bieten beispielsweise auch Stehtische, die an die Höhe von Menschen im Rollstuhl angepasst sind, oder eine Probierstation, an der Klänge mithilfe von Kopfbewegungen erzeugt werden können. Vielen sei nicht bewusst, dass Beeinträchtigungen oftmals erst im Laufe des Lebens entstehen, dass also jeder und jede früher oder später davon betroffen sein kann, sagt El Seroui.

Das Projekt verstehe sich als Appell an Politik und Wirtschaft, mehr für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zu tun, wolle aber auch mögliche Lösungen aufzeigen. Die Barkeeper wurden etwa eingeschult, um Bestellungen auch in Gebärdensprache aufnehmen zu können. Einige der ausgestellten Skulpturen dürfen ertastet werden. Kommunikationsassistenten stehen für gehörlose Besucherinnen und Besucher bereit. Der Zutritt zur Ausstellung sowie zu den Events des Rahmenprogramms ist kostenlos – auch das sei als Barrierefreiheit zu verstehen, so El Seroui. Ein taktiles Leitsystem durch die gesamte Halle sei ebenfalls angedacht gewesen, aber schließlich an den knappen Geldmitteln gescheitert.

Kunst-, nicht Sozialprojekte

Überhaupt würde man sich mehr Unterstützung von den staatlichen und städtischen Kulturinstitutionen wünschen, sagt El Seroui. Kunstprojekte, die sich mit Inklusion auseinandersetzen, würden gern als Sozialprojekte abgestempelt; eine Kritik, die auch Behindertenanwalt Erwin Buchinger in einem STANDARD-Gespräch im März dieses Jahres übte.

Ebenfalls im Rahmen des Projektes bieten mehrere österreichische Museen am 6. und 8. Mai barrierefreie Führungen an. An einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Imagining Inclusion" nimmt am Donnerstagabend neben Behindertenanwalt Buchinger auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) teil. Bei den "Inclusion Talks" erzählen und diskutieren Personen mit Beeinträchtigungen von ihren Erfahrungen mit Barrieren in Alltag und Beruf.

Der Verkaufserlös aus den bis 12. Mai ausgestellten Kunstwerken geht übrigens zu 50 Prozent an das Forum Selbstvertretung der ÖAR (Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs), zu 40 Prozent an die Künstlerinnen und Künstler und zu zehn Prozent an Lifespan. (Christa Minkin, 6.5.2015)