Tomar, eine portugiesische Kleinstadt, mitten in Portugal. Hoch über der Altstadt thront eine Klosterfestung des Templerordens aus dem 12. Jahrhundert. Unten, im Ortskern, steht in einer engen Gasse Portugals einzige historische Synagoge. Heinrich der Seefahrer ließ sie bauen, aus Dank. Geldgeber und Forscher aus den jüdischen Gemeinden ermöglichten Portugals Entdeckungsfahrten und den Aufstieg zur Weltmacht.

In Tomar gibt es schon lange keine aktive Gemeinde mehr. Nur noch zwei jüdische Familien leben hier.
Foto: Rede de Judiarias de Portugal

Über das Erbe wachen heute der portugiesische Staat und Menschen wie Teresa Vasco, Donha Teresa genannt. Seit 28 Jahren öffnet die 79-jährige Portugiesin jeden Morgen die Synagoge von Tomar und begrüßt Besucher aus aller Welt. 37.000 waren es im letzten Jahr. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet. An ihrer langen, silbernen Halskette hängt ein großer Davidstern. "Ich mache das ehrenamtlich, aus Liebe zu meinem Glauben. Hier in der Synagoge bin ich zuhause," sagt sie lächelnd.

Viel über Portugal

Die Geschichte der Sephardim, der iberischen Juden, wird gerade wiederentdeckt, von Historikern, von Nachfahren aus den USA, Israel oder den Niederlanden und von Kulturtouristen. Erst seit wenigen Jahren gibt es in Portugal ein Netzwerk historischer Judenviertel, zu dem 28 Städte und Gemeinden gehören. Wer einige dieser Orte besucht, erfährt viel über Kryptojudaismus, die Inquisition und das Leben in Portugal, vom 16. Jahrhundert bis heute.

Das ehemalige Judenviertel der Kleinstadt Trancoso ist gut erhalten.
Foto: Rede de Judiarias de Portugal

Von 1531 bis 1821 bestimmten in Portugal die Inquisitionsgerichte der katholischen Kirche, wer ein guter Bürger war, und wer nicht. König Manuel I. von Portugal verordnete schließlich die systematische Judenverfolgung als Teil eines Heiratspaktes mit den Katholischen Königen von Spanien. In den Archiven der Katholischen Kirche sind die Namen hunderttausender portugiesischer Neuchristen aufgelistet, die heimlich ihre alte Religion pflegten. Wurden diese sogenannten Kryptojuden bei der Religionsausübung erwischt oder denunziert, drohten schwere Strafen: Demütigungen wie das Tragen des Sambenito-Umhanges, Gefängnis, Tod auf dem Scheiterhaufen.

Bis heute misstrauisch

In Tomar gibt es schon lange keine aktive Gemeinde mehr. Nur noch zwei jüdische Familien leben hier. Sie möchten aber anonym bleiben, denn sie sind bis heute misstrauisch. Zum Gebet versammeln sich hier nur noch jüdische Touristengruppen. Auch Teresa Vasco musste sich in ihrer Kindheit verstecken. Sie erinnert sich, dass man am Freitagabend die Fenster mit einem Tuch verhängte und erst dann die Sabbat-Kerze anzündete. "Niemand wusste, dass wir Juden waren."

Namen von Opfern der Inquisition (Castelo de Vide)
Foto: Rede de Judiarias de Portugal

Die Kleinstadt Trancoso liegt 250 Kilometer nördlich von Tomar. Das ehemalige Judenviertel ist gut erhalten. Auch dort gibt es keine offizielle jüdische Gemeinde mehr. Doch "die meisten Einwohner haben jüdische Vorfahren, das sieht man an den Nachnamen," sagt die Historikerin Carla Santos. "Es ist in Portugal eben immer einfacher gewesen, Christ zu sein." Viele Besucher kommen aus dem Ausland in das ruhige Städtchen. Sie wollen sehen, wo die Häuser ihrer Vorfahren standen, wollen in denselben Straßen gehen, an den blühenden Hortensien riechen, wie sie wohl schon immer vor den Häusern wuchsen.

Sephardisch-schlichter Stil

Heute macht das auch die Einheimischen neugierig und stolz auf die Familiengeschichte oder auf die Spuren, die in ihren Häusern von der tragischen Vergangenheit zeugen: Kreuzzeichen etwa, eingeritzt in die Hauswände. Sie sollten bezeugen: Hier wohnen keine Juden mehr, hier wohnen Neuchristen.

Kreuzzeichen, eingeritzt in die Hauswände: Hier wohnen Neuchristen.
Foto: Rede de Judiarias de Portugal

Carla Santos arbeitet im jüdischen Informationszentrum von Trancoso. Es wurde 2014 eröffnet und steht neben der neuen, im sephardisch-schlichten Stil errichteten Synagoge. Sie gehört zu einem interdisziplinären Team, das seit den 1990er-Jahren Portugals jüdische Geschichte erforscht. Erst nach dem Ende der Diktatur von António de Oliveira Salazar 1974, begann das Land, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. "Juden, wie schrecklich, damit will ich nichts zu tun haben. Das brachte man uns bei", erzählt Santos. Niemand habe vom Judenmassaker in Lissabon 1506 gesprochen, kein Schulbuch habe jüdische Geschichte vermittelt, sagt sie. "Erst heute blättern wir zu diesem Kapitel zurück."

Besonderes Belmonte

Ein besonderer Ort im Netzwerk ist Belmonte in der Mitte des Landes. Seit dem Mittelalter besteht dort ununterbrochen eine jüdische Gemeinde. Eltern gaben Wissen und Glauben an die Kinder weiter, ohne Rabbiner. Fernando Henriques ist einer der Kryptojuden von Belmonte. Seine Tochter Mónica betreibt ein Geschäft mit koscheren Produkten.

In Belmonte gibt es seit dem Mittelalter eine jüdische Gemeinde.
Foto: Rede de Judiarias de Portugal

Doch die Familie Henriques will Belmonte verlassen. Der Umzug nach Israel stehe kurz bevor, sagt der 55-Jährige Fernando. Schon fünf andere Familien sind weggezogen. In Portugal sei alles gut, sagt er, abgesehen von der wirtschaftlichen Lage. Aber nach Jahrhunderten der Verfolgung und Verheimlichung zerfällt die Gemeinschaft nun, obwohl sie seit 1986 offen ihre Religion leben kann. Die Stadt hat ihr sogar ein Museum gewidmet. 75.000 Touristen besuchen es jedes Jahr.

Erzählen in zehn Jahren nur noch Schautafeln und leere Häuser diese Geschichte? Der 77-jährige José Henriques, Fernandos Vater, befürchtet genau das. "Ich will auch nach Israel, ich will hier nicht alleine bleiben." (Brigitte Kramer, 25.5.2015)