Dank der Jurys der große Gewinner: Die Schweden, die auch in Sachen Inszenierung neue Maßstäbe setzten.

Foto: ebu/Thomas Hanses

Hätte nur das Telkevoting gezählt, wären sie die großen Gewinner gewesen: "Il Volo" aus Italien.

foto: ebu/Elena Volotova

Die Party ist vorbei, der Eurovision Song Contest konnte nach 48 Jahren wieder in Wien stattfinden und alles ist größtenteils rundum gelungen. Für das Wetter dieses Wochenende konnte ja nun niemand etwas. Die Delegationen, die Journalisten und Journalistinnen, die Volunteers, die Leute der EBU: Alle fanden nur lobende Worte für die Austragungsstätte, die Menschen in der Stadt, die Freundlichkeit und die Schönheit Wiens. Ein Fan, der in Wien seinen 17. ESC besuchte, drückte es gestern Nacht so aus: "Für mich war der Song Contest in Wien der Schönste von allen. Das Engagement, der Spirit und die Motivation hier waren einfach großartig und ansteckend. Nächstes Jahr erwartet uns dann wieder schwedische Routine."

Von Euro-Trash zum Pop-Event

Das große Finale war große Show. Auffallend, dass der Euro-Trash, den man beim Song Contest immer so liebt und hasst, kaum noch passiert – eine Entwicklung, die sich bereits in Kopenhagen abzeichnete. Für viele ist der rumänische Beitrag 2013 in Malmö (Countertenor Cezar mit "It’s My Life") der letzte Beitrag dieser Art, quasi ein Abgesang auf die 90er und 00er Jahre des ESC. Mittlerweile dominiert moderner Pop. Nur die Balladen werden wohl immer bleiben. Ob sich diese Entwicklung 2016 in Schweden fortsetzt? Wir werden sehen.

Voting und Buh-Rufe

Das Voting ließ früh befürchten, dass es langweilig werden könnte. Schon früh setzten sich Schweden, Russland und Italien ab. Noch bevor ein Drittel der Punkte vergeben wurde, war klar, dass es einer dieser drei Beiträge werden wird. Auch Italien verlor dann bald den Anschluss und zementierte sich klar auf den dritten Platz ein. Das Hin und Her zwischen Schweden und Russland sorgte dann doch noch eine Zeit lang für Spannung und Verspannung. Letzteres vor allem aufgrund der Buh-Rufe gegenüber dem Kreml – und weniger gegenüber Sängerin Polina.

Zu den Buh-Rufen noch einige Anmerkungen: Das Problem des ESC ist ja, dass er unpolitisch sein will aber nie sein kann. Wenn Länder gegeneinander antreten, wird immer viel hinein interpretiert werden. Wenn Künstler und Künstlerinnen nicht nur sich selbst, sondern ein Land vertreten, erst recht. Das wird sich vermutlich nie ganz verhindern lassen. Auch bei meinem Blogbeitrag von gestern wurde mir in den Kommentaren "Russland-Bashing" vorgeworfen, was nicht meine Absicht war – sorry dafür, da war ich wohl zu wenig präzise –, denn freilich ist Polina genauso wenig verantwortlich für Putin wie Conchita für Faymann.

Was man aber nicht vergessen darf: Die Fans in der Halle fahren größtenteils jedes Jahr zum Event, darunter ein sehr hoher Anteil schwuler Männer, ohne die der ESC in den späten 90er Jahren vermutlich gestorben wäre. Hätte es diese Anhänger und Anhängerinnen nicht gegeben, wäre der ESC heute nicht dieser Event geworden, der er mittlerweile wieder ist. Die ESC-Fans hatten Befürchtungen was eine Reise nach Russland betrifft. Die so genannte "Homo-Propaganda" ist in Russland verboten. Zudem solidarisieren sich freilich die anreisenden Fans mit Schwulen und Lesben, die in Russland diskriminierenden Gesetzen ausgesetzt sind. Dadurch entstand in Russland eine Stimmung, die mittlerweile bis zu Verfolgung und Mord von Jugendlichen führt. Ich allerdings würde vermuten, dass ein ESC in St. Petersburg oder Sotschi dazu geführt hätte, dass viele Länder sehr lesbische und schwule Acts hingeschickt hätten. So gesehen hätte ich einen Sieg Russlands sehr wohl interessant gefunden.

Italien gewinnt bei Telefonanrufen, Schweden bei Juries

Interessant ist das Ergebnis im Detail. Denn beim Publikum gewann keineswegs Schweden, sondern Italien. Hätten nur Telefonanrufe gezählt, hätte Italien haushoch mit 366 Punkten vor Russland (286) und Schweden (279) gewonnen. Bei den Jurys lag Schweden mit 353 Punkten ebenso haushoch voran. Zweiter war in diesem Fall Lettland (249) vor Russland (234). Italien verlor bei den Jurys enorm und wurde nur Sechster mit 171 Punkten. Österreich wäre bei den Telefonvotings übrigens tatsächlich auch Letzter mit 0 Punkten, bei den Jurys immerhin am 13. Platz mit 40 Punkten.

Die Innovation des schwedischen Beitrags

Am Ende siegte aber Pop-Perfektion. Måns Zelmerlöw und der schwedische Sender SVT setzten mit "Heroes" neue Akzente, wie bereits 2011 mit Eric Saade und 2012 mit Loreen. Nicht ein Konzertcharakter war der entscheidende Moment, sondern der Versuch, einen Musik-Videoclip auf einer Bühne nachzustellen. Die Schweden reizen wie kein anderes Teilnehmerland das Format Fernsehen bei einem Festival vor 10.000 Zuschauern und Zuschauerinnen aus. Bei Loreens "Euphoria" 2012 war das im TV möglicherweise gar nicht sichtbar, aber in der Halle in Baku sah man ein Podest, die Sängerin Loreen, eine Art Schnee, der fiel und das alles auf wenigen Quadratmetern, sodass es im TV richtig gut aussah. Dieses Konzept wurde weiter entwickelt. Es wird spannend zu beobachten, ob andere Sender diesen Ansatz aufnehmen werden.

Kombiniert mit einem eingängigen Song aus der schwedischen Komponistenfabrik, die am Fließband einen Hit nach dem anderen fabriziert, konnte es am Ende zum Sieg führen. Ich glaube jedoch, die Idee ist nicht ungefährlich: Es kann irgendwann so perfekt sein, dass es zur reinen Oberfläche werden kann, musikalischer Tiefgang und Gefühl aber verloren gehen. Måns konnte das freilich dadurch kompensieren, dass er wirklich großartig singen kann und man ihn sich gerne ansieht.

The Makemakes

Traurig ist es schon, dass ausgerechnet das Gastgeberland am Ende, gemeinsam mit Deutschland, mit null Punkten dasteht. Das hatten sich "The Makemakes" wirklich nicht verdient. Der Song war eigentlich okay und ich kann die Niederlage immer noch nicht ganz nachvollziehen. Vielleicht war er halt auch nur okay, landete bei Juries und Votings deshalb nie in den Top 10 und ging somit leer aus. Er polarisierte nicht, er konnte weder überzeugen noch konnte man den Beitrag hassen. Er war halt nur nett. Die Inszenierung auf der Bühne war freilich sehr langweilig. Warum fackelt man eigentlich ein Klavier ab? Das konnte ich nie verstehen. Schade, dass der ORF gerade beim Staging des eigenen Beitrag derart versagte.

ORF

Der ORF überraschte trotzdem vor allem positiv. Erstaunlich, mit welcher Motivation und Esprit der Sender an den Großbewerb heranging. Der ORF hat das gut gemacht, das muss man neidlos anerkennen. Wer in der Stadthalle arbeitete, konnte eine unglaublich engagierte Crew erleben, die hilfreich war und nie das Lächeln verlor. Die Show war gut gemacht, hinter und vor den Kulissen.

Zweifel bleiben nur bei einigen Punkten, etwa ob vier Moderatorinnen nicht doch etwas zu viel des Guten waren und ob der Regisseur bei den vielen Bildwechseln, die sehr oft unmotiviert und entgegen jeglicher künstlerischer Dramaturgie wirkten, nicht besser die Songs mal anhören hätte sollen oder die Choreografie genauer beobachten konnte. Da hatte es Schweden mit einer ganz klaren Vorgabe, ohne Spielraum für den Regisseur, natürlich leichter. Unverständlich war, Ddie Werbepausen ausgerechnet beim Song Contest im eigenen Land in dieser Form beizubehalten, sodass großartige Gespräche von Conchita mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen im Green Room hierzulande gar nicht zu sehen waren. Dass man für Showblocks, wie die von Conchita, auf den deutschen Sender wechseln musste, hinterlassen einen sehr bitteren Nachgeschmack.

Der Song Contest in Wien wird aber – trotz Kleinigkeiten – als ein äußerst gelungener Jahrgang in die ESC-Annalen eingehen. Und als der Bewerb mit den wunderbarsten Volunteers, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. (Marco Schreuder, 24.5.2015)