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Was für die Arbeitswelt gilt, soll überall gelten, fordert Ablinger.

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Sonja Ablinger folgt Christa Pölzlbauer als Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings nach. Ablinger will künftig vor allem auf die ökonomische Ungleichheit zwischen Männern und Frauen hinweisen.

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STANDARD: Sind Sie überrascht, dass sexuelle Belästigungen wie Pograpschen nun doch nicht strafbar werden sollen?

Sonja Ablinger: Nein, schon bei der Ankündigung des Ministerialentwurfes zu diesem Bereich der sexuellen Belästigung schien sich Justizminister Brandstetter zu distanzieren. Ich hatte den Eindruck, für ihn war es halt ein Vorschlag der Frauenministerin – und jetzt schauen wir mal.

STANDARD: Ein Einwand gegen den "Pograpsch"-Paragrafen lautete immer wieder, dass womöglich schon so etwas wie Umarmungen darunter fallen könnten.

Ablinger: Kritikern empfehle ich, das Gleichbehandlungsgesetz für die Arbeitswelt zu lesen. Darin ist klar formuliert, was sexuelle Belästigung ist, und sie ist am Arbeitsplatz auch strafbar. Sexuelle Belästigung wird darin als Handlungen beschreiben, die darauf abzielen, die Würde einer Person zu beschädigen. Das halte ich für eine sehr gute Formulierung. Es ist nicht akzeptabel, dass sexuelle Belästigung und Herabwürdigung in der Arbeitswelt Konsequenzen hat, und außerhalb sollen diese weiterhin Kavaliersdelikte bleiben. Wenn Brandstetter diesen Entwurf für nicht umsetzbar hält, stärkt er all jenen der Rücken, die meinen, es sei okay, hin und wieder übergriffig zu werden.

STANDARD: Für viele ist fraglich, ob ein solches Verhalten über das Strafrecht reguliert werden kann.

Ablinger: Das Strafrecht hat nicht nur die Aufgabe, Eigentum zu schützen, sondern auch die Würde und die Rechte von Frauen. Das wäre ein klares Signal. Über Formulierungen kann man noch reden, eventuell könnte man sie auch um den Schutz der Würde erweitern, denn sexuelle Belästigung hat etwas mit Demütigung zu tun. Wir Frauen sind doch nicht zu blöd, um zu unterscheiden, was ein schiefgelaufener Flirtversuch und was sexuelle Belästigung ist. Und natürlich auch nicht die Männer. Und wenn es jemand nicht unterscheiden kann, dann muss er es lernen.

STANDARD: Auch die Formulierung zur Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung soll geändert werden. Sexuelle Gewalt soll nicht mehr "ohne Einverständnis", sondern "gegen den Willen" strafbar sein. Macht das einen großen Unterschied?

Ablinger: Das betrifft vor allem lang andauernde Gewaltbeziehungen und Ehen, in denen es regelmäßig zu Vergewaltigungen kommt. In solchen Situationen lassen Frauen aus Angst oder wegen der Kinder Vergewaltigungen über sich ergehen. Deshalb ist die Formulierung über das fehlende Einverständnis wichtig, weil sich Frauen in der beschriebenen Situation oft nicht wehren können. Die Initiative "Ein Nein muss genügen", die die Reformvorschläge für das Sexualstrafrecht angestoßen hat, hat sich zu Recht dafür eingesetzt, dass ein "Nein" reichen muss. Konsensualer Sex muss für alle endlich selbstverständlich werden.

STANDARD: SPÖ und Grüne sprachen sich für den Entwurf aus, von den anderen Parteien war wenig zu hören. Warum?

Ablinger: Man kann das ganz gut mit den Entwicklungen bei älteren Gewaltschutzgesetzen vergleichen. Etwa über Vergewaltigung in der Ehe. Das war extrem tabuisiert, niemand wollte darüber reden, auch Betroffene nicht, weil es schambesetzt war. Auch über Alltagssexismus reden Frauen oft nicht. Wenn Parteien dazu keine Stellung nehmen, tragen sie zu dieser Tabuisierung bei. Sexuelle Belästigung ist ein Alltagsphänomen, jede dritte Frau ist laut Studien von Fraueneinrichtungen von sexueller Belästigung betroffen.

STANDARD: Sie wurden erst letzte Woche zur neuen Vorsitzenden des Österreichischen Frauenrings gewählt. Wo sehen sie für Österreich den größten Handlungsbedarf für mehr Gleichberechtigung?

Ablinger: Das Frauenvolksbegehren von 1997 war eines der erfolgreichsten Volksbegehren. Eine ganze Reihe an Punkten, die damals gefordert wurden, ist aber noch offen. Sei es die Abschaffung der Partnereinkommen bei der Notstandshilfe, Rechtsansprüche auf Kinderbetreuung oder auch die Situation von Alleinerzieherinnen. Eigenständig leben zu können ist für Frauen noch immer viel schwieriger, da braucht man sich nur die Anzahl der Frauen in prekären Beschäftigungen oder Teilzeitarbeit anschauen, die Löhne oder die Pensionen. Im Bereich der ökonomischen Ungleichheit ist in den letzten Jahren viel zu wenig passiert. Gegen die Marginalisierung von wesentlichen Frauenthemen kann nur ein starkes Frauenbündnis was ausrichten.

STANDARD: Aber die Aufmerksamkeit für feministische Themen ist in den letzten Jahren doch sehr gestiegen, oder?

Ablinger: Die gesteigerte Aufmerksamkeit hängt aber auch mit dem wachsenden Antifeminismus zusammen. Die Gleichheit von Frauen wird immer ins Lächerliche gezogen. Dass man sich über so eine Selbstverständlichkeit wie geschlechtergerechte Sprache so aufregen kann, das zeugt für mich eindeutig von einer antifeministischen Stimmung. Die Fakten zeigen aber, dass Gleichheit für Frauen noch immer nicht gilt.

STANDARD: Welche neuen Probleme könnten künftig auf uns zukommen?

Ablinger: Die Prekarisierung in der Arbeitswelt ist ein wachsendes Phänomen. Und parallel zu einer wachsenden Arbeitslosigkeit nimmt der Druck zu, und Arbeitsrechte werden unterwandert. Dass mittlerweile mehr als die Hälfte der Frauen Teilzeit arbeiten zeigt erstens, dass Vereinbarkeit noch immer vorwiegend ein Problem von Frauen ist, und die Möglichkeit, allein vom eigenen Einkommen zu leben, kleiner wird. Das wird künftig ein großes Thema. (Beate Hausbichler, 1.6.2015)