Halbzeit der Suche nach dem verschollenen Bild, das der Familie Engelberg einst die Flucht vor den Nazis in die USA ermöglicht hat – fast alle unserer Spuren enden inzwischen in Sackgassen. Wie belastbar sind die Erinnerungen, auf denen die Recherche aufbaut? Viele Fakten stützen sie, aber es ergeben sich auch Widersprüche. Jagd das "Follow the Money"-Team einem Phantom hinterher? Nach einem Gespräch mit Edward Engelberg wird klar: Selbst wenn – die Suche geht weiter.

Folge 4 des #kunstjagd-Podcasts:

derstandard.at/follow the money

"Follow the Money"-Werkstattbericht: Erinnerungen

Es ist einer dieser Momente, bei dem das Spiel und die Wirklichkeit aufeinanderprallen.

Es ist doch so: Einerseits spielen wir hier Detektiv. Wir finden es schon aufregend, nicht zu wissen, was morgen passiert. Natürlich treibt uns der ganz persönliche Ehrgeiz, "es" zu schaffen, es zu finden: das Gemälde, mit dem Paula Engelberg auf welchem Weg auch immer 1938 ein Schweiz-Visum ergattert hat, wie sich ihr Sohn Edward erinnert.

Denn das ist die andere Seite, die eigentliche, um die es bei unserer Suche gehen soll: um das Schicksal von Paula, Jakob, Edward und Melly Engelberg. Sie waren nur vier von Millionen Juden, die von den Nazis ausgeraubt und vertrieben oder ermordet wurden.

Bloß: Während wir Whatsapp-Nachrichten beantworten, Bild, Ton und Text für unsere verschiedenen Kanäle produzieren und nebenher weiter recherchieren, vergessen wir das manchmal.

Es ist Montagabend, 23 Uhr. Wir skypen mit Edward. Seit Tagen warten wir darauf, ziemlich ungeduldig. Es hat ein bisschen gedauert, die Übertragungsfragen zu klären, dann mussten wir einen Kameramann finden, der Edward in seiner Wohnung bei dem Telefonat mit uns filmt, und der alte Mann hat sich sowieso nicht drängen lassen. Kameramann Jakob und Tonmann Johannes haben ihre Ausrüstung aufgebaut, wir haben den schweren Tisch verschoben, Christian sitzt vor dem Bildschirm. Oft haben wir diskutiert, welche Fragen wir Edward über die Bilder-Auswahl hinaus noch stellen müssen. Viele neue Ideen und wichtige Nachfragen sind erst unterwegs aufgetaucht, und bisher hatten wir keine Möglichkeit, unsere einzige Quelle deswegen zu befragen. Christian warnt immer wieder davor, dass wir Edward nicht überfordern dürfen. Er hat recht, aber was er uns unser Zeitzeuge heute nicht erzählen wird, das fehlt uns in den nächsten Wochen. Wir müssen so viel aus diesem Gespräch ziehen wie irgend möglich.

Wir fangen an. Kann der 86-Jährige eines der Bilder identifizieren? Unser heißester Kandidat ist das aufgerollte Gemälde. Fast 15 Flugstunden von uns entfernt sitzt Edward auf seiner Couch im Altersheim, schaut sich die Bilder an, die wir ihm geschickt haben, und schließt eines nach dem anderen aus. Leider auch das aufgerollte, und zwar mit großer Eindeutigkeit. Doch dann bleibt er hängen. Das dritte Gemälde, es mache irgendetwas mit ihm. Die bräunliche Farbe sei es, und außerdem sehe die Frau seiner Mutter ähnlich. Es sei das einzige, das für ihn wirklich Sinn ergebe. Was Edward nicht weiß: Dieses Bild ist laut Werksverzeichnis mit Öl auf Pappe gemalt, und Pappe lässt sich nun wirklich nicht aufrollen.

Christian fragt nach, wie intensiv sich Edward daran erinnern kann, dass seine Mutter das Bild aufrollte. Hier antwortet der alte Mann mit einer Eindeutigkeit, die wir vermisst haben, als wir ihm die Bilder gezeigt haben. Ja, er weiß, wie flüchtig Erinnerungen sind, aber diese eine Erinnerung scheint ihm bildlich vor Augen. Was machen wir mit diesen Informationen? Wir machen weiter. Christian fragt weiter, arbeitet unsere Liste ab. Wie hießen die Schweizer, bei denen die Engelbergs in Zürich wohnten? Was ist mit den Namen der Nachbarn aus der Thierschstraße 7, die wir herausgefunden haben? Einer von ihnen war sogar gleichzeitig mit Edwards Vater Jakob ins KZ Dachau verschleppt worden - doch bei Edward klingelt nichts. Und wer hat in den USA für die jüdischen Einwanderer aus Deutschland gebürgt?

Nach der Putzfrau und dem Kindermädchen der Engelbergs fragen wir schon gar nicht mehr, zu groß ist die Befürchtung, es könne Edward zu viel werden. Denn wir haben ja noch diese eine Frage, die uns in den letzten Tagen immer entscheidender zu werden schien. Bei wem sind Paula, Edward und Melly untergeschlüpft, kurz nachdem der Familienvater von der Gestapo in "Schutzhaft" genommen worden war? Das müssen doch enge, hilfsbereite Freunde sein, könnten sie nicht auch bei der Flucht aus Deutschland geholfen haben, etwas über den Verbleib des Gemäldes wissen?

Es fühlt sich für uns an, als sei das eine heiße Spur, die wir bisher völlig vernachlässigt haben. Christian fragt, Edward antwortet. Er erinnere sich sehr gut, sagt er. Unsere Hoffnung wächst in diesem Moment, man merkt, wie klar und deutlich das Bild dieser Freunde vor seinem inneren Auge entsteht. Die Sandbanks, Tante Ly, Onkel Moritz, und deren beiden Kinder Tini and Bertl. Fast gleich alt wie Edward und seine Schwester, man sieht sich oft, die Kinder dürfen sich über Nacht besuchen.

Die Sandbanks sind wie die Engelbergs Ostjuden, aber im Gegensatz zu Jakob besitzen sie noch ihren polnischen Pass. Und so deportieren die Nazis sie, wie andere polnischstämmige Juden, über die Grenze ins Nachbarland. "Doch einige Züge kamen zurück", erzählt Edward, warum, könne er heute nicht mehr sagen. In einem davon saß Familie Sandbank, vorerst gerettet. "Sie waren damals sicher, im Gegensatz zu uns, ironischerweise", sagt Edward. Und so nimmt Paula die Kinder, nachdem ihr Mann abgeholt worden ist, und flüchtet zu diesen guten Freunden. Nur für eine Nacht allerdings, zu groß ist die Angst, die andere Familie zu gefährden und sie erneut ins Visier der Nazis zu bringen.

Die Geschichte berührt uns, aber gleichzeitig sind wir immer wacher geworden. Wenn der Kontakt so eng war, dann müssen uns die Sandbanks oder ihre Kinder oder jemand, der sie kannte, doch vielleicht auf die Spur des Gemäldes bringen können? Nein. Das können sie nicht. Edward berichtet über ihr weiteres Schicksal, in einem fast nachrichtlichen Ton fasst er zusammen, was aus Tante Ly und Onkel Moritz und den Kindern wurde, die für ihn wie "Bruder und Schwester" waren. Moritz Sandbank wurde 1941 im KZ Dachau ermordet, seine Frau Luise brachte sich wenige Monate später um, mit Gas. Martin und Bertha kamen ins Kinderheim, dann ins Lager. Sie starben 13- und 14-jährig in Izbica.

Einige unserer Whatsapp-Nutzer haben uns gesagt, dass sie sich an dem Wort "Jagd" in #kunstjagd stören. Wir wissen, was Ihr meint. Vielleicht kann es auf manche wirken, als sei der Titel dem ernsten Thema nicht angemessen, gar zu reißerisch. Wir haben über den Namen und unsere Vorgehensweise lange diskutiert.

Und glauben, dass der Name ein Kompromiss ist zwischen dem Versuch, möglichst viele Menschen für dieses Thema zu interessieren und ihm gleichwohl inhaltlich gerecht zu werden. Und es sind Momente und Erzählungen wie diese, die uns Demut lehren.

Das Videotagebuch zur Woche 3:

Follow the Money (FtM)

(red, 11.6.2015)