Gemeinsam mit dem Stein-Experten Olaf Thormann identifizierte man 14 Gemälde, unter denen sich das verschollene befinden könnte.

Foto: Follow the Money

Folge 5 des #kunstjagd-Podcasts.

derstandard.at/follow the money

Wie viele Kunstwerke in der Zeit des Nationalsozialismus verschwanden, ist unbekannt. Gewiss ist nur, nicht alle wurden jüdischen Besitzern geraubt, unzählige Gemälde und Objekte wurden kriegsbedingt zerstört, andere gelangten über den Kunsthandel in anonymen Privatbesitz. Vieles könnte und wird die Jahrzehnte fern der Öffentlichkeit in Vitrinen verwahrt oder an Zimmerwänden hängend überdauert haben und gilt trotzdem als verschollen. Ein solches Bild steht im Mittelpunkt einer jüngst von einem deutschen Journalistenkollektiv gestarteten interaktiven "Kunstjagd", an der sich Zuschauer, Hörer, Leser und User beteiligen können, ja sogar explizit sollen.

Es geht um ein Gemälde, das der jüdischen Familie Engelberg vor 77 Jahren zur Flucht über die Schweiz in die USA verhalf. Im November 1938 hatte die Mutter es zusammengerollt, die Wohnung verlassen und war mit einem Visum zurückgekehrt. Die Währung seines Wertes ist nicht in Reichsmark, Franken, Dollar oder Euro bezifferbar, sondern in 30 Nachkommen in vorerst dritter Generation. Stellvertretend für den 86-jährigen Edward Engelberg, damals neun, startete also vor fünf Wochen die Suche nach diesem rettenden Bild.

Suchen und Sackgassen

Der Haken: Es gibt keine Fotoaufnahme, und Edwards Erinnerungen an das Motiv sind auf "ein Frauenporträt" reduziert. Ein zweites, ein Pendant gewissermaßen, ist bis heute im Besitz der Familie in Portland und soll eine Orientierung sein. Beim Künstler handelt es sich um einen gewissen Otto Theodor Stein, einen 1877 geborenen Maler und Grafiker aus Chemnitz, zu dem bis auf eine Dissertation keine Literatur existiert. Selbst in Wikipedia stöbert man vergeblich. Die Suche nach einem von ihm gemalten Werk erleichtert das nicht unbedingt.

Zeitgleich motiviert es Hobbydetektive, sich über soziale Medien zu beteiligen, an einer Suche, die vom journalistischen Recherche-Start-up Follow the Money als Jagd inszeniert wird. Die ersten Sporen verdiente sich das Team 2013 über ein Pilotprojekt, als man Schrottfernseher mit GPS-Sendern verwanzte und ihre Wege bis nach Westafrika dokumentierte. Eine Jagd, die mit dem CNN Journalist Award und anderen Auszeichnungen belohnt wurde. Die Fangemeinde auf Facebook hält sich mit derzeit 2360 Followern (noch) in Grenzen.

Nun also ein Kunstwerk, wobei das neue Abenteuer laut Marcus Pfeil einige Jahre in der Schublade schlummerte. Kollege Christian Salewski war zwischendurch als Gastreporter bei ProPublica in New York tätig, einem US-amerikanischen Non-Profit-Newsdesk für investigativen Journalismus. Dort erzählte ihm Edward Engelbergs Sohn Stephen, mittlerweile Chefredakteur, erstmals von diesem Kapitel seiner Familiengeschichte.

Für die seit 21. Mai laufende Kunstjagd kooperiert man zur breiteren Streuung mit traditionellen Medien, zu denen auch der ORF oder der STANDARD gehören. Über die Website informiert man wöchentlich über den Rechercheverlauf: via Audio-Podcasts, einen mit eintrudelnden Hinweisen angereicherten Blog und Making-of-Videos.

Die Episoden begleiteten das Team auf der Spurensuche nach dem Gemälde in Staats- und Stadtarchiven, zu Sammler und Kunsthändler. Gemeinsam mit Olaf Thormann (stv. Direktor Grassi-Museum Leipzig), der 1992 zum Künstler dissertierte, konnte man aufgrund der Provenienz und des Motivs die Zahl der potenziellen Kandidaten eingrenzen. Das anschließend veröffentlichte Fahndungsplakat mit 14 Werken lieferte bislang nicht den erhofften Hinweis, auch nicht vom 86-jährigen Skype-Debütanten. Denn der aus Portland zugeschaltete Edward Engelberg entschied sich ausgerechnet für ein auf Karton gemaltes Porträt, das seine Mutter nicht gerollt hätte transportieren können. Aber genau daran erinnere er sich zu 100 Prozent. Eine Sackgasse und nicht die einzige. Willkommen in der Realität, von der Provenienzforscher ein Lied singen können.

Für den Fall, dass Paula Engelberg das Bild einem Mitarbeiter des Konsulats im Tausch gegen ein Visum übergeben hätte, reiste man jetzt in die Schweiz. Trotz Anhaltspunkten verlief auch diese Spur im Sand. Die mit Podcasts dokumentierte Jagd neigt sich kommende Woche dem Ende zu. Über die sozialen Medien werden danach noch Hinweise, etwa auch aus Wien, verfolgt. Im Herbst wird ein zugehöriger Dokumentarfilm ausgestrahlt. Ob sich das Bild bis dahin findet, ist fraglich. Der Weg zur Geschichte könnte die eigentliche Story bleiben. (Olga Kronsteiner, 20.6.2015)