Maria Cäsar (95) in der Doku "Eigensinn und Ansichtssachen".


Foto: Raggam/Freigassner

Wien – Ein Kieswegerl am Rande Judenburgs erinnert an den Widerstand gegen das NS-Regime in der steirischen Kleinstadt: der Anni-Leitner-Weg. Eine Tafel erzählt, wer die Namensgeberin war, dass sie einen belgischen Kriegsgefangenen aufnahm, ihn mit Partisanen zusammenbrachte, schließlich wegen Hochverrats hingerichtet wurde. Neben Leitners Porträt prangt indes noch ein anderes Schild: Das Foto eines deutschen Schäferhundes weist auf das Problem Hundekot hin.

Zu sehen ist dieses Ensemble irgendwie gut gemeinter Erinnerungskultur in dem Film Eigensinn und Ansichtssachen von Miriam Raggam und Brigitta Freigassner. Die Wiener Filmemacherinnen befassen sich darin mit der NS-Geschichte Judenburgs, erforschten die Biografien jüdischer Bürger, befragten Zeitzeugen und Nachkommen, hoben Archivmaterial aus. Unter anderem gingen sie aber auch den Anni-Leitner-Weg mit der Handkamera ab. Einmal im Sommer, einmal im Winter. Raffinierterweise. Denn so wird deutlich: Wenn Schnee liegt, ist der Weg praktisch unsichtbar.

Begonnen hat das Projekt, das nun als Diplomarbeit Raggams an der Akademie der bildenden Künste Wien mit dem "Preis der Akademie" (mit 2000 Euro dotiert) ausgezeichnet wurde, mit einem Artist-in-Residence-Programm in Judenburg. Den Künstlerinnen war schnell klar, dass sie sich mit der "unsichtbaren" Geschichte der Stadt befassen wollten.

Brücken in die Gegenwart

Ausgehend vom kritischen Bewusstsein, dass Geschichte vor allem von Männern geschrieben wurde, wollten sie dabei vor allem die Frauen aus der Versenkung holen. Ein Angelpunkt des Films ist zum Beispiel Maria Cäsar. Die heute 95-jährige ist eine der wichtigsten steirischen Widerstandskämpferinnen und war selbst längere Zeit inhaftiert. Seit geraumer Zeit betreibt Cäsar Aufklärungsarbeit an Schulen.

In ihren Erinnerungen schlägt die geistig höchst agile alte Dame Brücken in die Gegenwart. Sie engagiert sich nicht nur für gepflegte Erinnerungskultur, sondern vor allem auch für Bildung, Aufklärung, kritisches Denken, ja, laut Freigassner interessiere sie sich sogar für queerfeministische Theorien.

Neben Raggams Film sind in der Jahresabschlussausstellung der Akademie auch einige andere sehenswerte Arbeiten zu sehen: Etwa Emanzipierter Schutzraum von Diana Lucas-Drogan (Klasse für Architektur), die sich in verschiedenen Medien mit der Refugee-Bewegung beschäftigte. Oder Edward Lloyds Tears of the Setting Sun, in deren Objekten ausgehend von traditionellen handwerklichen Techniken Artefakte einer fiktiven mongolischen Nomadenkultur entworfen werden.

Würdigungspreise erhielten schließlich auch Arbeiten mit weniger unmittelbarem politischem Bezug: Viktoria Philips entwickelte das Modell eines "Fahrstuhls zu den Sternen". Zu sehen ist schließlich aber auch die Dokumentation einer Diplomarbeit aus dem Fachbereich Restauration und Konservierung: Eva Bartsch befasste sich, ausgehend von Arbeiten von Rachel Lachowicz, mit dem Werkstoff Lippenstift. (Roman Gerold, 22.6.2015)