John Skoog: "Das 'réduit' einer mittelalterlichen Burg steht nur dem engsten Kreis um den König offen."

Foto: John Skoog

Wien – Gesprochen wird in John Skoogs Filmen manchmal gar nicht. Vielmehr entführen die kurzen Episoden seiner nun im Mumok präsentierten Trilogie in romantische Bildwelten im ländlichen Südschweden: In Kvidinge, wo Skoogs Eltern noch heute einen Hof besitzen, spielen Mädchen am frühen Abend am Ackerrand Fußball, Heu wird eingebracht, Felder werden bewässert. Idyllen, die aufbrechen – etwa durch einen Zug, der in der blauen Stunde die Sehnsucht nach Flucht nährt.

Im Zentrum steht der jüngste Teil dieser Serie, Reduit (Redoubt), für den Skoog 2014 den Baloise-Preis erhielt. Es erzählt vom kleinen Haus des Landarbeiters Karl-Göran Persson, das Skoog als Kind bei Ausflügen mit der Mutter kennenlernte: Ende der 1940er-Jahre begann der Außenseiter, mitten in einem Acker eine winzige Stahlbetonfestung für sich und die Dorfbewohner zu bauen. Auslöser war vermutlich eine Regierungsbroschüre, die informierte, wie man sich im Fall eines neuerlichen Krieges zu verhalten habe.

STANDARD: Der erste Film ihrer Trilogie, "Sent på Jorden" (2011), beginnt noch vor dem ersten Bild mit idyllischem Vogelzwitschern, doch plötzlich bricht der Ton ab: Mit dem ersten Bild setzt stattdessen ein leises Grollen ein. Später wird eine Sprinkleranlage wie ein piepsender Alarm klingen. Dem Sound kommt eine wesentliche Rolle zu. Wie arbeiten Sie mit ihm?

Skoog: Sent på Jorden sollte so klingen wie ein Dschungel, wir wollten aber nur Geräusche von schwedischen Bauernhöfen nutzen. Daher wurden die Field-Recordings am Computer bearbeitet. Für mich ist der Ton in allen drei Filmen zwar nicht das aufregendste Element, aber sehr wohl das, was den Film zusammenhält. Dort entsteht etwas, selbst wenn kein Dialog existiert. In vielen Szenen ist der Ton aus vorangegangenen oder nachfolgenden Szenen bereits in den Bassfrequenzen oder den hohen Lagen enthalten. Es ist eher ein Bassin aus Sounds, aus dem manches herausblubbert.

Ausschnitt aus "Sent på Jorden"
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STANDARD: Eine Oberfläche, die beim Betrachter Unbehagen weckt.

Skoog: Die Menschen sind so an Bilder gewöhnt. Sie sind ein so offensichtliches Statement. Durch Smartphones haben wir so ein unmittelbares Verständnis von ihnen, man weiß, wie man sie manipulieren kann. Die Tonebene ist immer noch eine Art unbekanntes Terrain, das mehr Möglichkeit bietet, mit Atmosphären zu arbeiten. Es ist auch effektiver.

STANDARD: Der Sound zerstört also die Wirkmacht der Bilder?

Skoog: Richtig. Wegen ihrer schönen Bilder sind die Filme emotional sehr zugänglich; der Sound kommt dazu wie ein zweiter Angreifer, könnte man sagen, um etwas aufzubrechen. Manche würden sagen, die Filme seien auf eine Art langweilig, weil wenig passiert. Mir kommen sie aber eher wie ein Actionfilm oder noch eher wie ein Thriller vor, weil sie stark mit Spannung und Bewegung arbeiten. Die Handlung ist nur eine Art Generator für aufregende Sachen. In meinen Filmen sind das etwa die sehr speziellen Orte, an denen ich filme.

STANDARD: Womit wir bei "Reduit (Redoubt)" wären: Wie in Zeitlupe gleitet die Kamera über Holzbretter, tastet wie die Nadel auf einer Vinylplatte jede Rille ab. So ungefähr klingt auch der darunterliegende Ton. Was ist das für ein seltsames Knarzen und Quietschen?

Skoog: Ein schönes Bild. Oder: Die Kamera als Heugabel. Das Geräusch stammt vom Dollywagen der Kamera auf den Schienen. Die brauchten wir, weil wir Perssons Haus in einer einzigen Bewegung filmen wollten. Im Spaß nannten wir es "Hitchcock-Shot": Taucht man mit der Kamera durch einen dunklen Teil, ergibt sich die Möglichkeit für einen unsichtbaren Schnitt. Wirklich geschnitten ist der Film aber nicht, nur montiert. In diesem Haus aus Beton herrschte Totenstille. Das ist auch der Grund, warum ich die Originalgeräusche des Drehs behalten habe.

Standbild aus "Reduit (Redoubt)"
Foto: John Skoog/Pilar Corrias Gallery, London

STANDARD: Ist dieses geheimnisvolle Gebäude in Schweden bekannt?

Skoog: Nein. Nicht einmal jemand, der ein besonderes Interesse für Ruinen hat, würde es kennen. Der Farmer, der das Land nach dem Tod Perssons 1975 erworben hatte, plante, das Haus abzureißen. Seine Kalkulation ergab allerdings, dass die benötigte Menge Dynamit teurer wäre als das, was er mit dem bisschen Land jemals erwirtschaften könnte. Und so bestellte er die Felder fortan um die Ruine herum. Als Kind faszinierten die Anekdoten über Persson, der alles Baumaterial mit dem Fahrrad herangeschafft hatte.

STANDARD: Warum war er Außenseiter?

Skoog: Persson wurde wegen Paranoia behandelt, aber die Kinder mochten ihn. Für den Ernstfall hielt er in Mauernischen für jede Familie eine Milchkanne bereit. Er hatte ein soziales Gewissen. Als er starb, baute er gerade am Zimmer für den König. Er war nicht einfach nur "ein verrückter Mann", es waren verrückte Zeiten. In Deutschland wurde man in den 1960ern sogar staatlich gefördert, wenn man einen Bunker baute.

STANDARD: War seine berührende Persönlichkeit Grund für den Film?

Skoog: Die Basis war für mich der Vorschlag, dass man sein Leben auf viele Arten leben kann, dass es keinen einzementierten Weg gibt. Wichtiger ist die politische Ebene. Denn auch heute fühlen sich die Schweden wieder durch Russland verängstigt: Zur Zeit des Eisernen Vorhangs gab es mehrere Verletzungen schwedischer Hoheitsgewässer durch russische U-Boote; 2011 setzten diese wieder ein. (Anne Katrin Feßler, 25.6.2015)

Ausschnitt aus "Förår", dem zweiten Teil von John Skoogs Trilogie
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