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Damit sich mehr Mädchen für MINT-Fächer entscheiden, ist eine geschlechtergerechte Sprache hilfreich.

Foto: APA/liseMeitner Realgymnasium Wien/Alexandra Palka

Ingenieur oder Ingenieurin? Viele halten eine geschlechtergerechte Sprechweise im Alltag für Zeitverschwendung. Die Erwähnung weiblicher Berufsbezeichnungen hat allerdings einen psychologischen Effekt auf Kinder, wie eine Studie der freien Universität Berlin nun belegt. Demnach schätzen Kinder typisch männliche Berufe (wie zum Beispiel "Ingenieur") als erreichbarer ein und trauen sich selbst eher zu, diese zu ergreifen, wenn sie in der männlichen und weiblichen Form ausgesprochen werden.

Frauen in MINT-Fächern unterrepräsentiert

In vielen westeuropäischen Ländern nehmen Mädchen immer noch seltener Berufe ein, die im sogenannten MINT-Bereich angesiedelt sind. Dazu gehören Lehrberufe und Studien, die mit Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu tun haben.

Solche Berufe gelten als typisch männlich, schwierig und sehr wichtig. Gleichzeitig gibt es viele Kinder – nicht nur Mädchen –, die nicht das nötige Selbstvertrauen besitzen, um solche Berufe zu ergreifen. Studienautor Dries Vervecken erläutert: "Wir wollten untersuchen, ob man durch eine geschlechtergerechte Sprache die Wirkung des Geschlechtsstereotyps aushebeln kann."

Studiendesign

Offenbar scheint dies möglich zu sein. In der Studie lasen die StudienautorInnen 591 GrundschülerInnen im Alter von sechs bis zwölf Jahren Berufsbezeichnungen vor – entweder nur in der männlichen Sprachform oder auf geschlechtergerechte Weise. Anschließend mussten die SchülerInnen die Berufe auf einer Skala bewerten.

Insgesamt waren es 16 Berufe, von denen acht typisch männlich (Frauenanteil kleiner als 30 Prozent, zum Beispiel Automechaniker), fünf typisch weiblich (Frauenanteil größer als 70 Prozent, zum Beispiel Kosmetikerin) und der Rest neutrale Berufe waren. Die Kinder schätzten für jeden Beruf in einem Fragebogen ein, wie viel man in dem jeweiligen Beruf verdient, wie wichtig er ist, wie schwer zu erlernen und auszuführen er ist und ob sie sich selbst zutrauen würden, diesen Beruf zu ergreifen.

Das Ergebnis: Kinder, denen die geschlechtergerechten Berufsbezeichnungen vorgelesen worden waren, trauten sich viel eher zu, einen "typisch männlichen" Beruf zu ergreifen, als Kinder, denen nur die männliche Pluralform genannt worden war. Dabei zeigte sich der Effekt bei Buben und Mädchen in gleichem Maß, wie Co-Studienautorin Bettina Hannover gegenüber dieStandard.at erläutert.

Aufgabe für Lehrende und Ausbildende

Um die Zuversicht von Kindern zu stärken, in traditionell männlichen Berufen erfolgreich zu sein, ist geschlechtergerechte Sprache also von Bedeutung. Die ForscherInnen fordern Lehrkräfte und Ausbildende auf, geschlechtergerechte Sprachformen systematisch zu verwenden. " So kann ein Beitrag dazu geleistet werden, mehr junge Leute für eine Karriere in diesen Berufen zu motivieren", heißt es in ihrer Mitteilung.

Ingenieurin weniger wichtig?

Allerdings zeigen die Analysen auch, dass bei der Verwendung geschlechtergerechter Sprache die Berufe von den Kindern als weniger wichtig angesehen wurden und dass die Bezahlung in "typisch männlichen" Berufen niedriger eingeschätzt wurde als nach Nennung der rein männlichen Berufsbezeichnung. Offenbar haben in unserer Gesellschaft bereits Sechsjährige verinnerlicht, dass die Arbeit von Frauen einen geringeren Status hat als die von Männern – egal, worin die Arbeit besteht. (freu, 30.6.2015)