Die Rede ist von Krieg. "Das Attentat von Saint-Quentin Fallavier erinnert uns daran, dass Frankreich gegen den islamischen Fundamentalismus im Krieg ist", sagt Laurent Wauquiez, konservativer Regionalwahlkandidat in Lyon. In einem Vorort der Rhonestadt hatte Freitag ein 35-jähriger Chauffeur seinen Arbeitgeber enthauptet, und anschließend eine Gasexplosion ausgelöst.

Der Mann war bei der Polizei bis 2008 als Salafist bekannt gewesen – dann wurde die Überwachung eingestellt. Heute seien rund 1800 Islamisten im Visier der Geheimdienste, erklärte Premier Manuel Valls am Sonntag. Die genauen Zahlen: 473 Männer und Frauen seien aus den französischen Banlieue-Städten in den Jihad in Syrien und Irak gereist, rechnete Valls vor; 217 seien mittlerweile zurückgekehrt.

Anschlagsversuch Villejuif

Einem von ihnen konnten die Behörden kürzlich das Handwerk legen. Sid Ahmed G., einem Informatikstudenten aus Villejuif bei Paris, misslang in seinem Vorort ein Anschlag auf eine Kirche. Alternativ wollte er die von Touristen überschwemmte Pariser Basilika Sacré-Coeur attackieren. Oder einen vollen Zug.

Seine potenziellen Opfer hatten mehr Glück als die 17 Opfer der Anschläge auf die "Charlie Hebdo"-Redaktion und den jüdischen Supermarkt im Jänner. Die Täter damals hatten eine normale Banlieue-Jugend verbracht, bis sie auf die schiefe Bahn gerieten und in den Jihad abglitten.

Gefahr schwer zu fassen

Das macht den Franzosen am meisten Angst: Die Attentate werden nicht mehr von Al-Kaida-Profis verübt, sondern von jungen Franzosen. Die Gefahr scheint unfassbar, aber massiv. Und sozialpolitisch verstörend: Potenzielle Terroristen sind überall im Land.

Mit sehr gemischten Gefühlen hören die Franzosen ihrem Präsidenten François Hollande zu, der Freitag mit verschlossenem Gesicht erklärte, er werde diese Islamisten "éradiquer", das heißt ausradieren und vernichten. Abseits der Wortwahl: In den riesigen Banlieue-Zonen jene auszufiltern, die wirklich zur Tat schreiten, ist schwierig. Der Fundus an jungen, oft arbeitslosen und psychisch labilen Kandidaten, die per Handyanruf den Umgang mit einer Kalaschnikow lernen, ist zu groß, um effizient überwacht zu werden.

Neues Sicherheitsgesetz

Die "Charlie"-Attentate haben in Frankreich aber viel geändert. Die Nationalversammlung hat vergangene Woche ein neues Sicherheitsgesetz genehmigt, das den Ermittlern großflächige Rasterfahndungen und eine gleichzeitig sehr präzise Überwachung erlaubt. Gleich danach hatte Premier Valls fast 3000 neue Stellen in den Polizeidiensten geschaffen. Der seit langem geplante Abbau der Armeebestände wurde gestoppt. In Bahnhöfen und Flughäfen, vor Synagogen und Kaufhäusern gehören die Dreierpatrouillen im Kampfanzug und mit Sturmgewehren längst zum französischen Alltag.

Frankreich ist nicht erst seit dem Blutbad in der "Charlie"-Redaktion in Alarmstimmung. 2013 hat Hollande mit einem Militäreinsatz Jihadisten aus dem Norden Malis vertreiben lassen. 3000 französischen Soldaten sind dort nach wie vor aktiv. Westafrika gilt als neues Kampfgebiet des Jihadismus; und für den regionalen Al-Kaida-Ableger Aqmi ist die einstige Kolonialmacht Frankreich der neue Hauptfeind. Das treibt noch mehr Franzosen in den Jihad.

"Wir sind auch in einem ideologischen Krieg", meinte der Pariser Journalist Mohamed Sifaoui nach dem Anschlag in Lyon. Weitum herrscht das Bewusstsein, dass der Kampf nicht nur polizeilicher oder militärischer Natur sein kann. Doch wie das soziale Pulverfass namens Banlieue zu entschärfen wäre, wissen die französischen Politiker bisher nicht. (Stefan Brändle, 28.6.2015)