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Ein inhaltlicher Austausch zur Care-Revolution wäre interessant und wünschenswert.

Foto: APA/dpa/Julian Stratenschulte

Betreuungsgeld und Ehegattensplitting sind schlecht, Quotenregelungen und betriebliche "Vereinbarkeitsmaßnahmen" sind gut? Eine klare Gegenposition zu solchen gängigen Ansichten vieler Feministinnen (und auch anderer) nehmen Lilly Lent und Andrea Trumann in ihrem Essay "Kritik des Staatsfeminismus" vor.

Die Ausbeutung von Arbeitskraft

Das kleine Büchlein liest sich wohltuend konkret. Seine Grundthese lautet: Solche als Feminismus ausgegebenen Maßnahmen dienen letztlich dazu, die Ausbeutung der Arbeitskraft – und neuerdings eben auch die von Frauen – im Interesse "des Kapitalismus" besser zu organisieren. Feministisch sei dran gar nichts.

In vielem stimme ich zu, ich habe ja selbst schon zu Elterngeld, Ehegattensplitting, Kita-Politik und so weiter gebloggt und bin dabei zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Ich empfehle jedenfalls allen, die sich mit solchen Themen beschäftigen, das Büchlein zu lesen und sich mit den dort angeführten Argumenten auseinanderzusetzen.

Das heißt natürlich nicht, dass man mit allem einverstanden sein muss. Ich finde zum Beispiel den engen marxistischen Interpretations- und Analyserahmen schwierig. Vieles von dem, was heute unter "Care-Arbeit" läuft, lässt sich meiner Ansicht nach nicht wirklich in der Logik von "Reproduktion" verstehen. Sicher, die Lebensverhältnisse sind wesentlich vom Kapitalismus geprägt. Aber es gibt meiner Meinung nach in all dem noch mehr als Kapitalismus, andere Ressourcen, andere Paradigmen, die ebenfalls "heute schon" wirksam sind.

Kritik an der Care-Revolution

Ein anderer Punkt ist die Frage nach der politischen Strategie, die Frage also: Was sollen wir denn nun sinnvollerweise tun? Diese Frage stellen Lent und Trumann nicht, sie bleiben bei der Kritik stehen (was der Qualität keinen Abbruch tut, sondern nur bedeutet, dass hier noch weitergedacht werden muss).

Am Ende ihres Büchleins kritisieren sie explizit die Care-Revolution mit dem Argument, hier würde auch wieder nur mehr Staat gefordert (mehr Kinderbetreuung, mehr Geld für Sorgearbeiten und so weiter). Das stimmt einerseits, andererseits aber nicht, denn im Netzwerk Care-Revolution sind eben ganz unterschiedliche Akteurinnen und Akteure. Sicher sind dort auch Gewerkschafterinnen oder Selbsthilfeinitiativen, die einen eher systemimmanenten Ansatz haben, es sind aber genauso gut systemkritische Gruppen und Personen dabei.

Es geht bei der Care-Revolution eben genau nicht darum, noch eine weitere, jetzt aber "richtige" Analyse der ökonomischen Verhältnisse im Spätkapitalismus vorzulegen, sondern um "revolutionäre Realpolitik", wie Gabriele Winker in ihrem Buch "Care Revolution" unter Bezug auf eine Formulierung von Rosa Luxemburg ausführt. Die Praxis ist dabei, die Bedürfnisse, Interessen und Ansätze der unterschiedlichsten Aktivistinnen und Aktivisten zusammenzubringen und dann gemeinsam zu überlegen, was getan werden kann.

Krise sozialer Reproduktion

Daher solltet ihr Gabriele Winkers Buch gleich auch lesen. Sie gibt im ersten Teil eine volkswirtschaftliche Analyse der gegenwärtigen "Krise sozialer Reproduktion" und entwirft im zweiten Teil Visionen für einen Transformationsprozess; nicht als der Weisheit letzter Schluss, sondern als Inspiration und Diskussionsgrundlage.

Und vielleicht gelingt es uns ja, als Netzwerk Care-Revolution mit Lilly Lent und Andrea Trumann in einen inhaltlichen Austausch zu kommen. Das würde ich definitiv interessant finden. (Antje Schrupp, 3.7.2015)