Beim heurigen Bachmann-Preis gab es in sämtlichen Kategorien Preisträgerinnen. Es war sogar schon vom "Bachfrau-Preis" die Rede.

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Nora Gomringer, Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2015.

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Geplant war es nicht, aber Getraud Klemm verseht sich heute als feministische Autorin.

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Zum ersten Mal in der Geschichte des renommierten Ingeborg-Bachmann-Preises sind die Männer leer ausgegangen: In jeder Preiskategorie bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur wurden Autorinnen ausgezeichnet. Die schweizerisch-deutsche Lyrikerin Nora Gomringer überzeugte als einstige Poetry-Slammerin unter anderem mit ihrer Lese-Performance die Jury und konnte den Wettbewerb für sich entscheiden. Vom "Bachfrau-Preis" war da die Rede, bei dem auch die Grazerin Valerie Fritsch und die schweizerisch-rumänische Autorin Dana Grigorcea punkteten.

"Die Literatur ist weiblich", sagte Juryvorsitzender Hubert Winkels bei der Abschluss-Pressekonferenz und traf damit in vielerlei Hinsicht den Kern der Sache. Nicht nur sind Autorinnen prominent auf Bestsellerlisten vertreten und treffen auf eine mehrheitlich weibliche LeserInnenschaft, auch der deutschsprachige Literaturbetrieb ist – abgesehen von der Führungsebene – klar von Frauen dominiert.

Kanon großer Männer

Im Urteil darüber, was als bedeutende Literatur gilt, schlägt sich dies jedoch nur bedingt nieder. Wissenschaftliche Einordnungen und Maßstäbe, die von LiteraturkritikerInnen an Texte gelegt werden, sind nach wie vor von einer patriarchalen Logik geprägt. Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki, der in seinem persönlichen Kanon kaum Platz für Autorinnen fand und selbst Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nur mäßiges Talent attestierte, erklärte beim ersten Bachmann-Wettlesen 1977 den Text von Karin Struck zum "Verbrechen". "Wen interessiert schon, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert?", schleuderte er der Jungautorin entgegen.

Und selbst 37 Jahre später konnte beispielsweise Gertraud Klemm in Klagenfurt mit einem Auszug aus ihrem Roman "Aberland", einem laut Verlagstext "bitterbösen Porträt zweier Frauengenerationen", noch für Entrüstung bei Burkhard Spinnen sorgen. Die Schilderung des ermüdenden Alltags mit einem Kleinkind erinnere ihn an "Frauenzeitschrifts-Aufschrei-Befreiungs-Prosa", die Protagonistin sei eine Figur, die die "absoluten Selbstverständlichkeiten der Reproduktion" unerträglich finde, kommentierte der Juror.

Klemm selbst, die anschließend mit dem Publikumspreis 2014 ausgezeichnet wurde, bezeichnet die Ausführungen Spinnens rückblickend als "liebevolle Diffamierung". "Ich habe die Jurydiskussion wirklich genossen. Sie hat das Problem doppelt entlarvt und mir gezeigt, dass der Text funktioniert. Dass ich mich damit nicht beliebt machen werde, war mir schon beim Schreiben klar", erzählt die Niederösterreicherin im Gespräch mit dem STANDARD.

Im feministischen Abseits

Klemm versteht sich als feministische Autorin – was so nicht geplant war: "Ich habe zu Beginn meiner literarischen Laufbahn wirklich versucht, vom Feminismus wegzurücken, weil ich geahnt habe, dass es mit diesem Label nicht leicht wird. Es ist mir aber schlichtweg nicht gelungen, ich muss mich an Geschlechterungerechtigkeiten abarbeiten." Feministische Literatur bekomme einen Stempel aufgedrückt, meint Klemm, und habe so wesentlich schlechtere Chancen, im Feuilleton vorzukommen als unpolitische Literatur vergleichbarer AutorInnen.

Weibliche Perspektiven laufen zudem schnell Gefahr, in die "Frauenliteratur"-Ecke der Buchhandlungen geschoben und damit letztendlich abgewertet zu werden. Geschichten, die aus Frauenperspektive erzählt werden und/oder von einer Frau oder einem Mädchen handeln, sind selbst bei Literaturpreisen nach wie vor in der Minderheit, fand die US-britische Autorin Nicola Griffith bei einer Untersuchung angloamerikanischer Auszeichnungen heraus.

Auch für Literatinnen wird die Luft oben dünner. Während das Geschlechterverhältnis etwa beim Ingeborg-Bachmann-Preis relativ ausgeglichen ist, wurde der Nobelpreis für Literatur, der seit 1901 vergeben wird, bisher erst dreizehn Frauen zugesprochen.

Medienfalle "Fräuleinwunder"

"Literaturpreise motivieren zum Weitermachen", erzählt Gertraud Klemm. Auch die aktuelle Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer spricht von "viel Aufmerksamkeit und Ehre". Die gewonnene Aufmerksamkeit versucht die Autorin auch zu steuern, Selbstvermarktung betrachtet sie als wichtigen Teil ihres Künstlerinnendaseins: "Ich investiere Geld, Zeit und viele Überlegungen in Schritte, die ich für meine Arbeit tue." Daten und Fotos hält sie auf der eigenen Website stets aktuell, um so möglichst selbst bestimmen zu können, welches Material JournalistInnen verwenden.

Dass ein simples Foto die Rezeption eines Werks prägen kann, zeigte der Fall der Autorin Judith Hermann in den späten 1990er-Jahren. Ihr Schwarz-Weiß-Porträt wurde medial mit Attributen wie "melancholisch" und "abgeklärt" versehen und gleichzeitig in Verbindung mit ihrer Literatur gebracht, erinnert sich Jennifer Sprodowsky, die beim deutschen Wallstein-Verlag in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig ist.

"An diesem Beispiel lässt sich eine Tendenz veranschaulichen, die immer noch zu beobachten ist: Das Autorinnenfoto spielt eine größere Rolle als das Autorenfoto", sagt Sprodowsky. Sei das Foto etwa zu sexy, würde die Schriftstellerin Gefahr laufen, nicht ernst genommen zu werden. "Vermarktung bedeutet für uns nicht, dass wir unseren AutorInnen auferlegen, wie sie sich im Medienrummel zu verhalten haben. Dennoch stehen wir ihnen natürlich mit Rat und Tat zur Seite."

Judith Hermann beschrieb in einem Interview den Hype um ihre Person als "schreckliche Zeit", da sie großen Druck verspürte, dem Medienbild entsprechen zu müssen. Ein Literaturkritiker prägte im "Spiegel" den Begriff des "Fräuleinwunders" in der deutschen Literatur, dem Herrmann zugeordnet wurde. "Der Preis dafür ist freilich, dass die fotogenen Jungautorinnen oft wichtiger scheinen als ihre Literatur", war im Artikel zu lesen.

Sich nicht verbiegen

Dass die Attraktivität einer Autorin ein ausschlaggebendes Kriterium für eine Veröffentlichung sei und Verlage im Marketing dann auch gezielt auf diesen Faktor setzen würden, hält Gaby Callenberg, die Marketing und Öffentlichkeitsarbeit beim Verlag Kiepenheuer & Witsch leitet, für "Unsinn" – entscheidend sei immer die Textqualität.

Kiepenheuer & Witsch hat viele bekannte Namen unter Vertrag und verlegt unter anderem die Romane der österreichischen Bestseller-Autorin Vea Kaiser, die im Herbst mit ihrer Neuerscheinung "Makarionissi oder Die Insel der Seligen" drei Monate lang auf Lesereise sein wird. "Natürlich hat es eine Autorin wie Vea Kaiser, die so aussieht, wie sie aussieht, in den Medien ein bisschen leichter, das will ich nicht abstreiten. Aber es ist nicht so, dass wir das als Verlag forcieren würden", sagt Callenberg.

Dass Jungautorinnen sich generell besser vermarkten lassen würden, davon ist Gertraud Klemm jedoch überzeugt. Sich nach den Regeln des Marktes auszurichten und sich zu verbiegen, hält die Autorin jedoch für langfristig wenig erfolgversprechend. "Ich habe schon einmal versucht, Unterhaltungsliteratur zu schreiben, aber das geht einfach nicht, darunter kann ich nicht meinen Namen setzen." Stattdessen wolle sie sich weiter mit ihren Texten "anpatzen" und sich immer wieder "aus dem Fenster lehnen". Dieser politische Anspruch sei beim diesjährigen Bachmann-Preis zu wenig vorhanden gewesen: "Letztendlich war es doch großteils schöngeschliffene Preisliteratur." (Brigitte Theißl, 21.7.2015)