Es gehört zu den Privilegien der Veteranen, dass sie in Erinnerungen schwelgen dürfen. Darin findet sich immer jene Wehmut, die das Gefühl begleitet, dass es früher besser war. Die am Sonntag im ORF 2 ausgestrahlte Dokumentation Meine Leopoldstadt über den zweiten Wiener Gemeindebezirk bot reichlich von dieser Nostalgie.

An einem Tisch zu sitzen kamen in der Leopoldstadt aufgewachsene Erzähler wie Jazz Gitti, Lydia Kolarik vom Schweizerhaus, Louie Austen und der Künstler Rudi Holdhaus. Zusätzlich memorierten der Autor Robert Menasse und Richard Lugner ihre Kindheit im zweiten Bezirk.

"Meine Leopoldstadt: Louie Austen, Lydia Kolarik (Schweizerhaus).
Foto: ORF/Felix Breisach Medienwerkstatt

Mit den von Regisseur Chico Klein unterfütterten historischen Beiträgen ergab das ein individuell gefärbtes Mosaik der Leopoldstadt. Menasse klärte volksbildnerisch über die Geschichte der Marienbrücke auf, Lugner darüber, wo im Zweiten man am besten einen lädierten Fiat Topolino im dritten Gang anstartet. Holdhaus besuchte Orte seiner Kindheit und zeigte, was daraus geworden ist.

Die Gegenwart kommt zu kurz

Die Gegenwart kam dabei zu kurz. Warum ziehen heute so viele Leute in den Zweiten, warum boomt der Bezirk? Warum kamen keine jener Menschen zu Wort, die den Bezirk heute mitgestalten und lebenswert machen?

Das Angebot an Lokalbetreibern und den Bezirk prägenden Personen und Phänomenen ist ja nicht gerade klein. Andererseits ist es den Leopoldstädtern wahrscheinlich lieber, ihre kleinen Alltagsgeheimnisse bleiben solche. Die vielen Busse, die bewegungsfaule Touristen tagtäglich auf Fotosafari durch den Hieb kutschieren, empfinden manche Bewohner auch ohne aktive Beteiligung der Gäste am Bezirksleben bereits als Belästigung. (Karl Fluch, 26.7.2015)