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Frauen beim "Heels and Suits Run" im Amsterdam. Laurie Penny kritisiert in ihrem Buch "Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution" (Nautilus-Verlag), dass bisher der Feminismus vor allem "Karrierefrauen" einen Startvorteil beschert hätte.

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Foto: APA/ REMKO DE WAAL

Wo bleibt der #Aufschrei für Kathrin Nachbaur? Diese Frage stellte Barbara Kaufmann kürzlich auf "nzz.at". Sie kritisierte JournalistInnen, die – wenn es passt – feministische Positionen vertreten und nun bei Nachbaur ebenso in die sexistische Diffamierungskiste greifen – wenn es passt. Und Nachbaurs Wechsel in den ÖVP-Klub war für viele ein willkommener Anlass.

Keine Frage: Doppelstandards bei der Kritik von Sexismus sind übel. Es ist blanker Aufmerksamkeitsopportunismus, wenn man sich etwa auf Twitter immer auf jene Seite schlägt, auf der der vermeintlich beste Schmäh rennt. Und jegliches Foto mit Zoom auf Nachbauers Dirndldekolleté oder abfällige Kommentare über ihr Äußeres, wie Kaufmann kritisiert, sind letztklassig – d'accord.

Aber die Frage, die hier aufgebracht wird, ist doch die: Darf ein Aufschrei von Feministinnen zu wünschen übrig lassen, wenn es um Frauen geht, die ihnen nicht ins Konzept zu passen scheinen? Kein Einsatz für Frauen, deren politisches Handeln verrät, dass ihre Vorstellungen von Gleichberechtigung bescheiden sind? Die Antwort ist natürlich Nein. Kritik an Sexismus ist ein "Service" für alle Frauen, egal welcher sozialen und beruflichen Stellung, egal welcher politischen Gesinnung.

Berechtigte Zurückhaltung

Doch es gibt verständliche und auch berechtigte Ermattung in puncto "Aufschrei": Die Aufmerksamkeit ist höchst ungleich verteilt. Vor allem zuungunsten unterprivilegierter Frauen, die weder Öffentlichkeit noch glamouröse Aufstiegsgeschichten zu erzählen haben. Der Feminismus hätte in den vergangenen Jahren vor allem heterosexuellen, weißen und gutverdienenden Frauen aus der Mittelschicht und oberen Mittelschicht gedient, kritisiert die britische Autorin und Bloggerin Laurie Penny. Feminismus für die "Karrierefrau", diese "neoliberalen Heldinnen", die "marktkonform ihre Triumphe feiern, ohne Hierarchien anzutasten", würde schon lange der Vorrang gegeben, schreibt sie. Diese Schiene des Feminismus sei also deshalb so erfolgreich, weil er an den Machtverhältnissen nicht rüttelt.

Damit hat Penny recht. Kritik an diskriminierende Strukturen oder Sexismus in Aufsichtsräten und Spitzenjobs bekommt kontinuierlichen Support medialer Öffentlichkeit. Zwar dürfen Missstände nicht gegeneinander ausgespielt werden, doch die Aufmerksamkeit für Gleichberechtigung ist nicht unendlich. Daher wäre es höchste Zeit, den Spot endlich stärker auf andere zu richten.

Wen interessiert schon Diskriminierung und Alltagssexismus gegenüber Kassiererinnen, Pflegerinnen, Alleinerzieherinnen oder arbeitslosen Frauen? Niemanden – obwohl die Konsequenzen für sie, etwa Lohndiskriminierung bei einem ohnehin schon sehr niedrigen Gehalt, sehr schwer wiegen.

Ein Extra-#Aufschrei für sie würde zweifelsohne im Vergleich zu einem für Nachbaur Social-Media-mäßig lau ausfallen. Und genau deswegen müssen die Prioritäten unabhängig von dieser Aufmerksamkeitsökonomie gesetzt werden. (Beate Hausbichler, 6.8.2015)