S. Corinna Bille zur Entstehungszeit von "Venusschuh" 1952.

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Wien – Die Schriftstellerin S. Corinna Bille (1912-1979) wuchs in einer der berückendsten Landschaften Europas auf, im Schweizer Kanton Wallis mit seinen schroffen Alpengipfeln (Matterhorn!), den ebenso zerstreut liegenden wie exponierten Dorfsiedlungen und einem sommers wie winters extremen Klima. Zwar hat die Tochter eines Malers und einer Bergbäuerin wenige Jahre ein Bohemienneleben in Paris geführt (an der Seite des Filmschauspielers Vital Geymond), doch hingezogen fühlte sie sich zur Heimat ihrer Mutter, wo sie sich verstanden fühlte. Aus Corin, dem Bergdorf, formte sie gar ihren Vornamen Corinna (vom bürgerlichen Stéphanie blieb nur mehr die Abkürzung).

S. Corinna Bille gehört zu den wenigen Frauen der Romandie (u. a. neben Alice Rivaz), die über die Landesgrenzen hinaus Bekanntheit erlangten. Mit La Demoiselle sauvage (zu Deutsch wagemutig: Mädchen auf weißem Pferd) erhielt sie 1974 den Prix Goncourt. Wie ihr Debütroman Theoda (1944) ist auch der nun für eine Neuausgabe leicht überarbeitete Venusschuh (1952) eine fast mythologische, naturgeisterhafte Tiefenschürfung in der Landschaft der Walliser Berge. Der Roman liest sich spannend wie ein Thriller, ist dicht und voll hellhöriger Klugheit.

Kräfte werden in der Geschichte wirksam, die nicht zu ermessen sind. Bilder fügen sich zusammen, die eine rätselhafte Klarheit schaffen. Die Gewalt der Natur ist in dieser Literatur omnipräsent (ohne jemals einen bergromantischen Topos zu bedienen), ebenso das Bewusstsein über den kleinen Spielraum, der den Menschen hier bleibt.

Ein junger Mann (er habe die Gestalt eines Zentauren) erblickt an einem von Raureif überzogenen Herbsttag am Ufer eines Deichs eine Frau, "die auf dem Wasser ging". Martin Lomense, so sein Name, rettet sie aus dem Fluss und folgt der Wortkargen in das Dorf Maldouraz hinauf, wo der Tischlermeister gerade Hochzeit hält. Dort wird er den Winter verbringen und Zeuge eines weiblichen Befreiungsschlages sein.

Kolossaler Freiheitsdrang

Teppiche sind auf dem Weg zur Dorfkirche aufgelegt (alles ist hier katholisch), doch der kraftmeierische Hochzeitspopanz kündigt nur eines an: den Abgrund, an dem diese Ehe gestiftet wird. Bara, die junge Ehefrau, wird fliehen. Sie wird mit ihrem kolossalen Freiheitsdrang die Menschen vor den Kopf stoßen und dem Studenten Martin Lomense mit ihrer Attraktivität zusetzen.

Bara ist eine hinkende Tänzerin mit Sommersprossen wohlgemerkt; ihre Strahlkraft erwächst aus dem von ihr verkörperten Traum vom "Anderen", von einer "Vision". Sie ist, wie schon Theoda, eine jener Heldinnen, die sich dem unmöglichen Leben nicht beugen. Wie schlecht dieses Ehedrama enden wird, haben Sätze schon viel früher angedeutet. "Ringsum war die Schlachtzeit angebrochen mit ihren rosa Lichtern. Es war ein sanftes Töten im Dorf, fast ohne Gebrüll."

Die Natur erscheint als Mitwisserin des dramatischen Geschehens: "Wie rötliche oder gelbe Vulkandämpfe stiegen die Sträucher und Büsche aus der Erde" heißt es, wenn Martin Lomense im Frühling wieder hinabsteigt. Ein "Schleier aus Staub" (vom Strohdreschen) macht Dinge unkenntlich oder lässt sie zu einer traumhaften Realität verwischen. Asche überzieht die Wege des Dorfes, um den rutschigen Schnee zu bannen, aber natürlich sind die schwarzen Pfade auch ein Trauerflor.

Der Showdown kann sich mit jenem des Alpenthrillers Das finstere Tal messen. Davor bauen 19 Kapitel eine Spannung auf, die in kleinen Dosen der Rätselhaftigkeit dieses Lebens näherkommt. (Margarete Affenzeller, 17.8.2015)