Bild nicht mehr verfügbar.

Stefanie Holzer beklagt in ihrem Buch staatliche Eingriffe und sieht in der Einführung von Krippenplätzen und Ganztagsschulen ein Schreckgespenst.

Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach

Stefanie Holzer
Wer bitte passt auf meine Kinder auf?

Essay
Verlag Limbus

Foto: Limbus Verlag

Der Zeitgeist ist schuld. Um die Kindererziehung sei es in unserer Gesellschaft nicht gut bestellt, urteilt die österreichische Autorin Stefanie Holzer in ihrem Essay "Wer bitte passt auf meine Kinder auf?". Eine "skurrile Allianz zwischen Wirtschaft und Feminismus" dränge darauf, Kinder so früh wie möglich und am besten ganztägig in Betreuungseinrichtungen abzugeben, um die eigene Karriere nicht aufs Spiel zu setzen.

In 16 kurzen Kapiteln, die sich unter anderem frühkindlicher Bindung, Eingewöhnung im Kindergarten und dem pädagogisch wertvollen Spiel widmen, führt sie aus, warum sie die Betreuung zu Hause in der "Lebensform Familie" für die kindgerechteste hält. Wir aber erlaubten es dem "Zeitgeist", uns von unseren Kindern zu trennen.

Was aber bedeutet Zeitgeist? Die Autorin bemüht Wikipedia und den Duden, um dann festzustellen: "Ungeklärt freilich ist, wie der Zeitgeist entsteht, noch weiß man, wer ihn uns einflüstert." Dem ist zu widersprechen. Wie sich Bilder von "Familie" und der "richtigen" Betreuung von Kindern in unseren Köpfen konstituieren, bleibt nicht einem diffus wabernden Zeitgeist überlassen, sondern ist immer schon hausgemacht. Das belegen neben vielen anderen zum Beispiel die beeindruckenden Studien von Edith Saurer zu Geschlechterbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert (dieStandard.at berichtete).

Wirtschaftliche Überlegungen über alles

"Rechtsnormen sind immer auch Wunschbilder von Geschlechtsordnung", heißt es da. In manchen europäischen Staaten wie Österreich, in denen ein rein männliches Ernährermodell auch legistisch stärker untermauert wurde, hat das Auswirkungen bis in die Gegenwart. So weit zum Zeitgeist. Nach diesem bemüht Holzer, Autorin zahlreicher Bücher und in den 1990er-Jahren Mitherausgeberin der Kulturzeitschrift "Gegenwart", ihre Mutter. Diese habe ihr erstes Kind mit 24 bekommen, dem noch sieben weitere sowie vier Stiefkinder folgten. Sie habe ihre Töchter eindringlich davor gewarnt, es ihr gleichzutun.

Stefanie Holzer beherzigte diesen Rat und bekam ihre Kinder, drei an der Zahl, nicht in jungen Jahren. Trotzdem scheint sie nun das Modell ihrer Herkunftsfamilie – ihre Mutter war nie berufstätig, die Geschwister besuchten keinen Kindergarten – zu idealisieren. "Nun ist es so weit gekommen, dass jene Beziehungen wie zwischen Eltern und Kindern vordringlich nach wirtschaftlichen Überlegungen gestaltet werden", schreibt sie. Dieses "nun" ist anzuzweifeln: Die, die es sich frei von wirtschaftlichen Zwängen aussuchen konnten, waren immer schon in der Minderheit.

Kinder, unsere "Verbindung zur Zukunft"

Natürlich hat die Autorin recht, dass staatliche Politik und der Arbeitsmarkt eine Rolle spielen bei dem, was in Bezug auf Familie und Kindererziehung gesellschaftlich als erwünscht gilt. Ihr Verhältnis dazu bleibt im Text aber ambivalent: Einerseits wünscht sie sich eine stärkere Familienpolitik, die möglichst viele individuelle Wahlmöglichkeiten einräumen soll – auch jene, jahrelang mit den Kindern zu Hause zu bleiben –, andererseits beklagt sie staatliche Eingriffe und sieht in der Einführung von Krippenplätzen und Ganztagsschulen ein Schreckgespenst auf uns zukommen: Durch "Beschulung Gleichheit herstellen" zu wollen ist für sie ein "kurios totalitärer Impuls". Sie sieht darin die "Verstaatlichung eines privaten Vorgangs". Das hätte sie ebenso gut und ebenso wenig zutreffend auch Maria Theresia und ihrer Einführung der allgemeinen Schulpflicht vorwerfen können, an deren Sinnhaftigkeit wohl kein Zweifel mehr besteht.

Recht hat die Autorin damit, dass ein Kinderwunsch nicht durch Transferleistungen allein zu erzielen ist. Aber auch das ist keine neue Erkenntnis: Der Geburtenrückgang in Europa, um abermals die Historikerin Edith Saurer zu zitieren, ist "nicht auf die Kosten für die Kinder, sondern die veränderte Bedeutung von Elternschaft zurückzuführen". Sie beschreibt damit wohlgemerkt ein Phänomen der 1890er-Jahre.

Kinder, so Holzers Resümee, seien zum Luxus geworden. Viel zu viel werde aber über die Mühen mit ihnen, viel zu wenig über ihren Wert gesprochen. Sie sind, so die Autorin, "unsere Verbindung zur Zukunft". In dieser Diagnose wenigstens kann man ihr zustimmen, auch wenn man andere Schlüsse daraus ziehen mag. (Tanja Paar, 19.8.2015)