"Es braucht eine grundständige Promotionsförderung durch Kollegs oder Stiftungen", so der künftige IFK-Leiter Macho.

Foto: Klaus Fritsche Fotografie, Köln

STANDARD: Sie werden ab dem Frühjahr 2016 der neue Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften in Wien sein. Was hat Sie dazu bewogen, sich um diese Position zu bewerben?

Macho: Ein Motiv bestand sicher darin, nach über zwei Jahrzehnten als Professor an der Humboldt-Universität Berlin noch etwas Neues zu machen und die letzte Etappe meiner akademischen Laufbahn in meiner Heimat zu verbringen. Ich habe in den vergangenen Jahren aber auch einige deutsche Wissenschaftskollegs näher kennengelernt, die dem IFK ähnlich sind, und halte diese Modelle kulturwissenschaftlicher Forschungseinrichtungen für sehr interessant.

STANDARD: Das IFK ist seit Anfang dieses Jahres keine außeruniversitäre Einrichtung mehr, sondern Teil der Kunstuniversität Linz. Ist das eher ein Vorteil oder eher ein Nachteil?

Macho: Das ist eine auf den ersten Blick schwierige, aber auch sehr interessante Konstruktion. Konkret bedeutet das, die Kulturwissenschaften etwas stärker in Richtung der Künste zu positionieren. Ich halte das für eine reizvolle Aufgabe, zumal ich die Kunstuniversität Linz aus der Erfahrung einiger Gastprofessuren kenne. Die Arbeit mit Künstlern und Künstlerinnen war für mich immer sehr anregend.

STANDARD: Solche Begegnungsräume zwischen Künstlern und Wissenschaftern scheinen in den letzten Jahren groß in Mode gekommen zu sein.

Macho: Aus meiner Sicht ist das eine interessante Entwicklung, weil sie auch mit bestimmten Problemen innerhalb der Wissenschaften zu tun hat, die in den letzten Jahren sichtbarer geworden sind – zum Beispiel die sinkenden Kosten-Nutzen-Relationen bei vielen Forschungsthemen. Wer heute beispielsweise über Kafka arbeiten will, ist mit tausenden Bänden Sekundärliteratur konfrontiert. Der Anbruch des digitalen Zeitalters hat die Wissenschafter unter größeren Druck gesetzt, ihre Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Und dieses Ziel wird häufig mithilfe von Techniken verfolgt, die der Kunst oder der Literatur entlehnt sind.

STANDARD: Und warum ist die Kunst an der Wissenschaft interessiert?

Macho: Das ist nichts Neues. Spätestens seit der vorletzten Jahrhundertwende suchten Künstlerinnen und Künstler immer wieder Kontakte zur Wissenschaft. Schon Marcel Duchamp korrespondierte mit dem Mathematiker Richard Dedekind, weil er ein vierdimensionales Objekt malen wollte. Es gibt aber auch erfolgreiche Wissenschafter, die in die Kunst gingen, wie etwa der belgische Künstler Carsten Höller, der habilitierter Biologe ist. Dieser Grenzverkehr zwischen Kunst und Wissenschaft existiert also schon länger.

STANDARD: Aber so richtig programm- und förderungsfähig wurde dieser Grenzverkehr doch erst in den letzten Jahren.

Macho: Aber auch das kam nicht überraschend und ist in anderen Ländern schon seit vielen Jahren üblich. Kürzlich habe ich einen Philosophen aus Oxford getroffen, der mir erzählt hat, dass an der Uni Oxford seit mehr als zehn Jahren PhD-Projekte zur "künstlerischen Forschung" betreut werden.

STANDARD: Ein kritischer Beobachter könnte einwenden, dass die in diesen Begegnungszonen entstandenen Projekte bisher nur selten überzeugen konnten. Täuscht dieser Eindruck?

Macho: Natürlich ist nicht immer alles innovativ und spektakulär – ebenso wie in den Wissenschaften. Das gehört einfach zu den Anfangsschwierigkeiten solcher neuen Kooperationen. Es braucht jetzt eine gewisse Hartnäckigkeit, um die Potenziale solcher neuen Begegnungen auszuloten und auszuschöpfen. Für das IFK habe ich jedenfalls konkret vor, die hier schon etablierte Praxis fortzuführen und zu vertiefen, Künstler und Künstlerinnen einzuladen, um – wie seit Jahrzehnten im Berliner Wissenschaftskolleg – als Artists in Residence zu wirken.

STANDARD: Kommen wir zurück zu den Geistes- und Kulturwissenschaften. Nimmt man sich die einschlägigen Auszeichnungen wie ERC-Grants, Start- oder Wittgenstein-Preise her, dann scheinen die in Österreich im Vergleich zu einigen Naturwissenschaften nicht allzu erfolgreich zu sein. Stimmt die Diagnose? Und wenn ja, woran liegt das?

Macho: Es gibt sicher noch Verbesserungspotenzial. Meines Erachtens liegt das aber vor allem auch daran, dass in Österreich die Nachwuchsförderungsprogramme nicht so gut entwickelt sind wie in anderen Ländern. Wenn jemand bei mir an der Humboldt-Universität eine Dissertation schreiben will und mich das Thema interessiert, dann stellt sich sofort die Frage der finanziellen Förderung. Diese Frage wird in Österreich sehr viel seltener gestellt. Hier ist es eher üblich, neben einem anstrengenden Berufsleben auch noch promovieren zu wollen. Es braucht so etwas wie eine grundständige Promotionsförderung durch Kollegs oder Stiftungen.

STANDARD: Zuletzt gab es aber auch Kritik, dass auf diese Weise zu viel wissenschaftlicher Nachwuchs produziert wird, der an den Universitäten sicher keine Stelle finden wird.

Macho: In Berlin habe ich die Erfahrung gemacht, dass wenige Personen, die promovieren wollen, auch eine akademische Karriere im Blick haben. Viele Dissertanten gehen später in andere Bereiche, etwa in Museen, Verlage oder Radio- und TV-Anstalten. Tatsächlich reicht das Problem des Prekariats weit über die Wissenschaften hinaus und hat wenig mit der Überproduktion von qualifiziertem Nachwuchs zu tun. Umso wichtiger scheint mir deshalb eine stärkere Orientierung an einem breiteren Adressatenfeld.

STANDARD: Die Nachwuchsförderung ist einer der erklärten Schwerpunkte des IFK. Wird der erhalten bleiben?

Macho: Auf jeden Fall. Die IFK-Nachwuchsförderung ist schon jetzt vorbildlich, nicht zuletzt dadurch, dass die Junior-Fellows die Möglichkeit erhalten, nach ihrem Jahr am IFK ins Ausland zu gehen. Ich würde gerne die Nachwuchsförderung noch weiter ausbauen, weil in Österreich in diesem Bereich besonderer Bedarf herrscht. Insgesamt werde ich auch darauf achten, dass die internationale Mischung der Fellows weiter ausgeprägt und erhalten wird.

STANDARD: Was kann das bringen?

Macho: Wir reden gern und oft von Interdisziplinarität. Diese Interdisziplinarität bedeutet aber nicht nur Übersetzungsarbeit zwischen verschiedenen kulturwissenschaftlichen Traditionen oder Methoden, sondern auch zwischen verschiedenen Sprachen. Entsprechend könnte einer der neuen Schwerpunkte, die ich für die nächsten Jahre plane, "Kulturen der Übersetzung" lauten. Ein solcher Schwerpunkt wird angesichts der Ströme von Flüchtlingen und Migranten – der wahrscheinlich drängendsten Herausforderung, vor der die EU in den nächsten zehn Jahren stehen wird – gewiss noch größere Bedeutung erhalten.

STANDARD: Höre ich da eine gewisse Repolitisierung der Kulturwissenschaften und auch des IFK durch?

Macho: Ein wenig schon. Zweifellos stehen gerade auch die Kulturwissenschaften vor der Herausforderung, zu diesen aktuellen Entwicklungen Stellung zu nehmen. Wer sonst? Da hilft der klassische Kulturrelativismus ebenso wenig weiter wie die stereotype Betonung abendländisch-europäischer Werthaltungen. Da geht es um komplexere Fragen und Probleme, für die es neue Formen und Forschungen braucht.
(Klaus Taschwer, 26.8.2015)