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Sharon Otoo: "Wenn wir den hiesigen Buchmarkt anschauen, ist es leicht, den Eindruck zu bekommen, dass nur bestimmte Personen adressiert sind."

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Otoo wurde in London geboren und kann sich nicht erinnern, dass es in Großbritannien eine Sensation gewesen wäre, wenn schwarze Personen als handelnde Personen in der Literatur vorkamen.

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Lann Hornscheidt: "Es macht Spaß, neue Netzwerke zu etablieren".

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Mit drei Publikationen ist w_orten & meer, Verlag für antidiskriminierendes Handeln, auf den deutschsprachigen Buchmarkt gegangen. Im Herbst 2015 folgen nach "Goodbye Gender" weitere zwei Bände. Ein Gespräch mit zwei der MacherInnen, Lann Hornscheidt und Sharon Dodua Otoo.

STANDARD: Warum, glauben Sie, braucht es einen Verlag für antidiskriminierendes Handeln am deutschen Buchmarkt?

Sharon Otoo: Die Frage für mich wäre eher: Warum nicht? Wenn wir den hiesigen Buchmarkt anschauen, welche Bücher in welcher Auflage verkauft werden, welche Bücher Preise gewinnen, welche Bücher im Schulunterricht benutzt werden, ist es leicht, den Eindruck zu bekommen, dass nur bestimmte Personen adressiert sind. Das ist übrigens nicht nur im Verlagswesen so, sondern betrifft meines Erachtens die gesamte Kulturindustrie. Wenn Geschichten von Menschen, die Diskriminierung erleben, erzählt werden, dann geschieht dies meist, um "nicht Betroffene" zu sensibilisieren. Das als Ziel zu haben ist natürlich nicht schlecht, doch es hapert manchmal an der Umsetzung.

STANDARD: Inwiefern?

Sharon Otoo: Leider werden in vielen solcher Bücher Diskriminierungen in der Wortwahl, in den Metaphern oder in Bildern reproduziert. Oder Diskriminierungsformen werden gegeneinander ausgespielt, manchmal auch ausgeblendet. Es fehlt an guten Büchern, die die vielfältigen Lebensrealitäten von Menschen widerspiegeln, ohne dass diese zum ausschließlichen Gegenstand des Erzählens werden. Ich habe zum Beispiel zu Hause ein Kinderbuch, wo das Baby zwei Mamas hat, und ein anderes Kinderbuch, wo eine Protagonistin im Rollstuhl sitzt. In den Erzählungen geht es allerdings im ersten Buch um den Tagesablauf des Babys, und im zweiten Buch werden Traumberufe diskutiert. Solche Bücher muss es viel mehr geben.

STANDARD: Gibt es Vorbilder aus dem englischsprachigen Raum oder von anderswo?

Sharon Otoo: Ich kann eigentlich nur von Großbritannien sprechen. Ich bin in London geboren und aufgewachsen und habe für eine längere Zeit in Brighton gelebt. Da ist der Kontext einfach anders als in Deutschland. In meiner Erinnerung war es keine Sensation, zum Beispiel schwarze Personen als handelnde Personen in der Literatur zu finden. Sicherlich gibt es noch viel zu tun, aber das Thema ist in Großbritannien sogar bei den großen Verlagen angekommen.

Lann Hornscheidt: Vernetzung und Vorbilder sind ein unglaublich wichtiges Thema. Ich habe vor Jahrzehnten mal bei Lilith, einem Frauenbuchladen in Berlin, gearbeitet, und zu Lilith gehörte auch ein gleichnamiger Verlag. Da sind Marina Zwetajewa, Clarice Lispector und Virginia Woolf auf Deutsch erschienen, einige erstmalig, und das hatte auch einen großen Einfluss auf die deutsche Literaturlandschaft. Wir sind ja ein recht neuer Verlag, haben aber glücklicherweise schon ein paar Kontakte mit US-amerikanischen Verlagen wie Transgress Press oder Arsenal Pulp Press aus Kanada, von denen wir die Rechte für die Übersetzung des Buches "Gender Failure" bekommen haben.

In Schweden gibt es auch eine ganze Reihe von spannenden Verlagen, die sich Antidiskriminierung zum Hauptziel gesetzt haben und beispielsweise Kinderbücher mit neuen und nichtdiskriminierenden Sprachformen auf den Markt bringen, die dann auch manchmal größere gesellschaftliche Diskussionen ankurbeln können. Wir tauschen uns auch mit den deutschsprachigen Verlagen aus, die Antidiskriminierung zum Ziel haben, wie beispielsweise dem Wiener Verlag Zaglossus.

STANDARD: Sie betreiben einen unabhängigen politischen Verlag. Wie finanzieren Sie das?

Sharon Otoo: Natürlich ist es uns klar, dass unsere Bücher eher Nischenprodukte sind, darum messen wir unseren Erfolg nicht an der Höhe der Auflage oder Ähnlichem. Der Verlag ist nicht auf Profit aus, sondern darauf, sich selbst zu tragen. Jedoch stehen wir gerade am Anfang. Diese erste Phase ist eine Investitionszeit – nach circa fünf Jahren werden wir uns hoffentlich über die Verkäufe, Veranstaltungen und andere Events finanzieren können.

Lann Hornscheidt: Und diese fünf Jahre geben wir uns, um spannende und inspirierende Bücher zu produzieren, die Menschen auch herausfordern können: mit neuen Genres oder Genremischungen, neuen Themen, neuen Stimmen, neuen Sprachformen. Wichtig ist uns auch, dass der gesamte Prozess von der Bezahlung aller Beteiligten und auch der Produktion her sozial nachhaltig ist – mal sehen, ob es gelingt, uns damit finanziell unabhängig zu machen. Oder anders formuliert: Erbschaften und Spenden sind uns immer willkommen.

STANDARD: Wie kommt das Programm zustande?

Sharon Otoo: Viele Leute, die dem Verlag nahestehen, machen Vorschläge! Manchmal teilen Menschen ihre schon fast fertigen Manuskripte mit uns, manchmal kommen Ideen für ein Buch durch ein Gespräch zustande. Die meiste Arbeit wird vom Kernteam Steff Urgast und Lann Hornscheidt geleistet. Ich bin relativ neu dabei. Dann gibt es eine gestaltende Gruppe, die sich zweimal jährlich trifft und unsere Programmideen diskutiert. Grundsätzlich sind wir offen für Angebote und Ideen. Ob akademisches oder aktivistisches Wissen, Belletristik oder Sachbuch: Wir publizieren Perspektiven von Personen, die Diskriminierung erfahren und dagegen arbeiten, handeln und leben.

Lann Hornscheidt: In der gestaltenden Gruppe engagieren sich Personen, die gegen Diskriminierung arbeiten. Wichtig ist uns, dass alle Bücher klar positioniert sind, die Übersetzungen ebenso positioniert sind und auch die Bildsprache der Bücher – das ist eine ganz umfangreiche Perspektive auf eine neu positionierte antidiskriminierende Politik, und es macht sehr viel Spaß, daran zu arbeiten, neue Netzwerke zu etablieren, Fragen – zum Beispiel zu Übersetzungen – in Gruppen zu diskutieren.

STANDARD: Sie machen auch Hörbücher, E-Books – wie entscheiden Sie, was wie erscheint? Machen Sie auch Kinderbücher?

Sharon Otoo: Diese Entscheidungen werden in enger Absprache mit den AutorInnen getroffen. Das finde ich besonders schön an unserem Modell. Die Formate werden nicht ausschließlich nach dem Kriterium diskutiert, ob sie sich gut verkaufen werden, sondern es geht bei dem Verlag sehr stark darum, dass Menschen für sich selbst sprechen. Und ja, Kinderbücher haben bei uns Priorität! Wir arbeiten gerade an einem Projekt von Sita Ngoumou. Wenn alles gut läuft, erscheint das Buch im Frühjahr 2016. (Tanja Paar, 31.8.2015)