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Verhütung? Für viele junge Frauen steht die eher im Hintergrund.

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Katrin Wegner: "Die Pille und ich. Vom Symbol der sexuellen Befreiung zur Lifestyle-Droge". C. H. Beck, München 2015, 203 Seiten, 15 Euro

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Seit 1961 hat sich viel getan. Und die Antibabypille war dabei, wenngleich in den ersten Jahren sehr im Verborgenen. Heute können gleich mehrere Frauengenerationen von ihrem Umgang mit Verhütung erzählen. Und sie erzählen damit immer auch eine Geschichte der Emanzipation, die erst einen zarten Schritt nach vor, dann einen Sprung und dann wieder einen Schritt zurück macht. So ähnlich stellt es sich zumindest in "Die Pille und ich. Vom Symbol der sexuellen Befreiung zur Lifestyle-Droge" der deutschen Autorin und Journalistin Katrin Wegner dar.

Zwischen 2010 und 2015 hat Wegner mit 267 Frauen und 52 Männern gesprochen, was für eine Bedeutung die Pille in ihrem Leben spielte. Wegner sprach auch mit pubertierenden Mädchen und Burschen zwischen 13 und 18 Jahren. Die Interviews dienten erst für eine Dokumentation für ARTE, die 2012 ausgestrahlt wurde. Nun bieten sie per Buch einen hervorragenden Einblick in die Geschichte der Lebens- und Liebesplanung mehrerer Generationen.

Als die Pille 1961 auf den Markt kam, war Verhütung noch völlig tabu. Die 1950er-Jahre mit ihrer rigiden Sexualmoral wirkten noch weit in das nächste Jahrzehnt hinein. Dabei war diese strenge Moral in den 1950er-Jahren nicht einfach da, weil man es "früher" nun mal so hielt. Vielmehr musste der missbilligende Blick auf den Sex von christlich-konservativen Kreisen erst durch ordentliche Lobbyarbeit installiert werden. Denn in den Kriegsjahren und auch noch danach sei "das Leben recht wild geworden", wie ein Zeitzeuge Wegner erzählte. Als der Tod allgegenwärtig wurde, sei immer mehr die Ansicht hochgekommen, "nach uns die Sintflut, nun genießen wir das Leben, solange wir es noch genießen können". Kurz nach dem Krieg war die Akzeptanz für Sex vor der Ehe auch noch hoch, 71 Prozent der Westdeutschen fanden diesen völlig vertretbar.

Das geht die Kirche nichts an

Dass die Toleranz zunehmend schwand, änderte jedoch wenig an der Praxis und verhinderte freilich auch keine ungewollten Schwangerschaften: In den 1950er-Jahren haben 1,2 Millionen Frauen laut dem "Deutschem Ärzteblatt" jährlich – damals noch illegal – abgetrieben, davon starben 10.000 an den Folgen des Eingriffs. Angesichts dessen sollte man einen Auftritt der Pille im Jahr 1961 mit Pauken und Trompeten annehmen.

Aber nichts da: "Der Stern" musste die verhütende Wirkung nach ein paar Monaten nach Markteinführung enthüllen, denn die Pille wurde erstmal nur zur Linderung von Regelbeschwerden in Umlauf gesetzt. In den ersten Jahren nach der Einführung wurde die Menge der Konsumentinnen kleingehalten. Nur verheirateten Frauen mit mehr als zwei Kindern durfte sie verschrieben werden, und Ärzte warnten vor dem Verfall der geistig-moralischen Sitten, würde sie auch unverheirateten Frauen verschrieben werden.

Welchen beachtlichen Schritt der Selbstermächtigung Frauen in diesen Jahren machten, zeigen die Interviews mit der ersten "Pillen"-Generation. Maria V., geboren 1939, erzählt davon, wie sie sich von ihrem streng katholischen Elternhaus so weit löste, um ein Sexualleben genießen zu können. Wie Maria V. vereinten sie das scheinbar Widersprüchliche: Sie machten Sex zu ihrer Sache, "das war privat, das ging die Kirche nichts an".

Ab den 1968ern stieg der Absatz der Pille rapide an, etwas später wurde auch Abtreibung legalisiert. Gleichwohl die Pille für viele Frauen selbstverständlich und fraglos viel Leid verhinderte, gab es auch Kritik. Warum sich Hormonhämmer, die die Pille damals noch war, verabreichen und Männer aus jeglicher Verantwortung in puncto Verhütung entlassen?

Die Interviews zeigen eines deutlich: Viel Entspannung in puncto Sex gab es für Frauen auch in der späteren Generationen nicht. Für die nachfolgenden "Pillengenerationen" hatte Verhütung zwar keine moralische Dimension mehr, doch dafür traten Sexkompetenzfragen auf den Plan. Die Angst vor Schwangerschaft wurde durch die Angst, "nicht alles richtig zu machen", ersetzt, wie Svantje L., Jahrgang 1967, schildert. Vor ihrem ersten Mal hatte sie sich rechtzeitig die Pille verschreiben lassen, genießen könne sie es trotzdem nicht. "Eigentlich war ich nur froh, alles gut überstanden zu haben", erzählt sie.

Die Pille zur Rundumverschönerung

Und wie steht es für die heute jungen Frauen? Wie zu den Pillenanfängen rücken für sie wieder andere Effekte als die Verhütung in den Mittelpunkt. Die Pille wird in pinken Verpackungen mit inkludierten Spiegeln zur Rundumverschönerung beworben: schönere Haut, schöneres Haar, größere Brüste. Es zeigt sich, dass viele Mädchen bei der Pille nicht an unbeschwerten Sex denken, sie denken lediglich ans "Sexysein".

Die erste Pillengeneration habe den Blick nach innen gewendet, um eigene Bedürfnisse und Wünsche zu entdecken, folgert Wegner. Die dritte Generation nütze sie, um ihren Marktwert zu steigern – die Entdeckung der eigenen Bedürfnisse stehe nicht auf dem Programm. Trotzdem also enorm viel passiert ist seit der Einführung der Pille, ist das ein mehr als bescheidener Status quo. Wegners Buch ist gerade deshalb eine empfehlenswerte Lektüre für junge Frauen über den kontinuierlichen und gewaltigen Einfluss auf den Sex der Frauen. (Beate Hausbichler, 15.9.2015)