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Dianne Abbot, Schattenninisterin für internationale Entwicklung.

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Knapp 60 Prozent der Mitglieder und SympathisantInnen der Labor-Partei haben den 66-jährigen Jeremy Corbyn am 12. September zum neuen Parteichef gewählt.

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Melanie Sully: Probleme mit zuwenigen Frauen in wichtigen politischen Positionen haben vor allem traditionelle Parteien.

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Geschlechtergerechtigkeit war für den links stehenden Jeremy Corbyn im Vorfeld der Wahl zum britischen Labour-Chef Thema. "Wir haben ein großartiges Team und erstmals in der Geschichte mehrheitlich Frauen im Schattenkabinett", sagte er nach der Wahl, allerdings ging keines der Spitzenressorts Finanzen, Innen- und Außenpolitik an eine Frau. Corbyns Begründung für die Verteilung der MinisterInnenposten hält die Politologin Melanie Sully für wenig überzeugend.

STANDARD: Wie hat Jeremy Corbyn reagiert, als man ihm einen mangelnden Sinn für Geschlechtergerechtigkeit vorwarf?

Sully: Corbyn hat Gendergerechtigkeit versprochen und hat sie auch zusammenbracht, aber letztendlich gingen alle wichtigen Posten an Männer. Das hat er damit begründet, dass das längst nicht mehr die zentralen Jobs seien. Dass das die Schlüsselbereiche wären, sei ein altmodischer Gedanke aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, als Großbritannien noch große außenpolitische Bedeutung hatte. Aus Corbyns Sicht sind Gesundheit und Bildungspolitik heute viel wichtiger. Aber ich halte das nicht für sehr überzeugend.

STANDARD: Warum?

Sully: Jedes Jahr gibt es am Internationalen Frauentag Aufstellungen darüber, wie viele Frauen in der Politik sind. Aber die täuschen ein wenig: Man muss auf den Einfluss der politischen Posten schauen. Und man muss sich die Frage stellen, was man unter einflussreichen politischen Positionen versteht. Außenpolitik und Finanzen sind in fast jedem Land wichtige Ministerien – ohne grünes Licht aus dem Finanzministerium kann die Bildungspolitik nicht agieren. Und in der Außenpolitik geht es um militärische Interventionen, die Corbyn selbst als zentrales künftiges Thema ins Spiel gebracht hat – diese politischen Funktionen jetzt als nicht mehr wichtig hinzustellen ist nicht glaubwürdig.

STANDARD: Aber die Position von Diane Abbott ist doch nicht unwichtig, oder?

Sully: Diane Abbott ist Ministerin für internationale Entwicklung. Eine eher unbedeutende Rolle, wenn man bedenkt, wie stark sie sich für Corbyn eingesetzt hat.

STANDARD: Denken Sie, dass man bei linken Parteien bezüglich Gleichstellung kritischer ist?

Sully: Nicht unbedingt. In Schottland ist Nicola Sturgeon von der linksliberalen Scottish National Party sehr erfolgreich, charismatisch und beliebt. Ihr Kabinett in Schottland ist gendergerecht. Ein Problem haben eher traditionelle Parteien wie Labour, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Labour war stark mit den Gewerkschaften verbunden, und die sind sehr männlich dominiert – das hat die Partei geprägt. Die einzige erfolgreiche Politikerin und einzige Premierministern Großbritanniens war Margaret Thatcher – egal, wie man zu ihrem politischen Programm steht.

STANDARD: Die "Guardian"-Journalistin Suzanne Moore schreibt in einem Kommentar, linke Politiker würden sich darauf verlassen, dass "linke Politik ohnehin für alle spricht".

Sully: Ich glaube, dass Corbyn nicht für so eine Haltung kritisiert wurde, sondern für eine generelle dilettantische Vorgehensweise. Erst als die Kritik aufkam, dass alle wichtigen Jobs an die "Boys" gingen, wurde für Angela Eagle eine Spitzenposition geschaffen. An diesem Vorgehen sieht man auch, dass Corbyn mit Parteimanagement wenig Erfahrung hat, davon zeugt auch sein ungeschickter Umgang mit Medien.

STANDARD: Wie hoch ist derzeit eigentlich der Frauenanteil in David Camerons Kabinett?

Sully: Cameron hat sein Kabinett nach der Wahl im Mai neu gebildet, seither gibt es dort fast ein Drittel Frauen, darunter die Innenministerin. Interessant ist: Corbyn wurde von einer früheren Labour-Ministerin für seinen Kleidungsstil kritisiert, der viel zu leger sei. Das ist insofern ungewöhnlich, als meist nur Politikerinnen für ihre Frisur oder Kleidung kritisiert werden – nun wurde Corbyn für sein Äußeres getadelt. (Beate Hausbichler, 18.9.2015)