In Österreich sind bis zu 38 Prozent der Frauen von häuslicher Gewalt betroffen.

Foto: Frauenhaus Wien

"Die Exekutive kann erst einschreiten, wenn der Hut brennt", betont Irma Lechner, Mitbegründerin und inhaltliche Leiterin des 3. Wiener Frauenhauses. Im Rahmen der Initiative "Gewaltfrei leben" referierte sie im Verein Fibel, der Fraueninitiative bikulturelle Ehen und Lebensgemeinschaften, über die Formen und Auswirkungen von psychischer Gewalt in der Familie. Diese ist weit verbreitet und schwer zu beweisen: 43 Prozent der Frauen im EU-Raum sind durch aktuelle oder frühere PartnerInnen davon betroffen, in Österreich sind es 38 Prozent (dieStandard berichtete ).

Wo aber beginnt psychische Gewalt? "In Abgrenzung zum bloßen Konflikt passiert sie wiederholt und systematisch", erklärt Lechner. "Das ist ein Prozess, der auf drei Ebenen abläuft: Erstens auf einer Verhaltensebene – hier wird die Selbstachtung der Betroffenen gebrochen. Liegt eine ökonomische Abhängigkeit vor, ist es noch leichter, die Frau zu isolieren. Zweitens auf einer kognitiven Ebene: Unklare Botschaften, zum Beispiel freundlich ausgesprochene Drohungen, führen zu Verunsicherung. Drittens kommt es auf der emotionalen Ebene zur ständigen Frustration." Die französische Psychotherapeutin Marie-France Hirigoyen habe diese Mechanismen in ihrem Buch "Die Masken der Niedertracht" eindringlich dargestellt.

Wahrnehmung ver-rückt

Erst werde die psychische Integrität verletzt, dadurch verschiebe sich die Selbstwahrnehmung: Das Gefühl der Wert- und Hilflosigkeit werde übermächtig, oft begleitet von der Angst, verrückt zu werden. "Dieses Wort trifft es besonders genau", sagt Lechner, "denn die Wahrnehmung der Betroffenen ist tatsächlich ver-rückt." Durch das ständige, zielgerichtete seelische Quälen komme es zu einer Realitätsverschiebung. Dies erkläre auch, warum es den Betroffenen oft so schwerfalle, sich zu wehren oder institutionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Folgen: sozialer Rückzug, negativer Selbstwert, Angst, depressive Symptome und gesundheitliche Langzeitschäden.

"Die psychische Gewalt ist permanent vorhanden", erklärt Lechner, "sie wird als ohne Anfang und ohne Ende wahrgenommen und ist deswegen besonders belastend." Hinzu komme die erschwerte Beweisbarkeit. "Wir verzeichnen eine Zunahme an psychischer Gewalt, weil den Tätern stärker bewusst ist, dass die Konsequenzen für sie schlimmer sind, wenn die Gewalt sichtbare Spuren hinterlässt." Also drohten sie physische Gewalt nur an. Auch Erpressung über neue Medien, zum Beispiel beschämende (Sex-)Videos, die ohne das Wissen des Opfers aufgenommen werden, nähmen zu. Als Beweismittel gegen die Täter vor Gericht, so betont Lechner, seien Videos aber nicht zugelassen.

Neue Medien als Beweismittel

Diese Zulassung als Beweismittel vor Gericht ist eine ihrer Forderungen. Was kann man sonst noch tun? Lechner nennt die verstärkte Schulung und Vernetzung der betroffenen Berufsgruppen, die Schaffung von Beratungsangeboten schon in Kindergarten und Schule sowie die weitere Erarbeitung von Instrumentarien zur Einschätzung und Erfassung von psychischer Gewalt.

Auch "klarere und strengere juristische Regelungen", wie es sie zum Beispiel in Frankreich schon gibt, wären ihrer Meinung nach hilfreich. "Dort wurde das aus dem Mobbingbegriff heraus entwickelt", erklärt Lechner. "In Österreich könnte das zum Beispiel dem Paragrafen der fortgesetzten Gewalt hinzugefügt werden." Auch beschleunigte Gerichtsverfahren wären ein große Hilfe. "Die Schaffung von spezialisierten Beratungsstellen ist sicher billiger als die Folgekosten", ist Lechner überzeugt: "Prävention ist das Um und Auf." (Tanja Paar, 23.9.2015)