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Albrecht Dürer: Vier Hexen, 1497.
Druckgrafik: Archiv
Bis ins 19. Jahrhundert war - wie bereits in Die Geburt der Gynäkologie beschrieben - die Gynäkologie kein selbständiges medizinisches Fachgebiet, sondern die Frauenheilkunde samt Geburtshilfe wurde von Hebammen (=Hebe-Amme) als ältester Frauenberuf ausgeführt. Bereits für das Jahr 900 ist belegt, dass Trotula von Salerno an der berühmten Medizinischen Hochschule die Frauenheilkunde zu einer Aufsehen erregenden Disziplin geführt hat. Die "weisen Frauen", wie sie im Volksmund genannt wurden, waren Ärztinnen ohne Titel, weil ihnen der Zugang zum Studium die längste Zeit untersagt war. Und sie waren die einzigen Heilpraktikerinnen für die Armen, gehörten daher zur Subkultur des Volkes und genossen Ansehen. Ein Potential, das den Herrschenden und der im 13. Jahrhundert aufstrebenden Ärzteschaft bald ein Dorn im Auge werden sollte.

Die Heilerin wird zur "Hexe"

Diese jahrhundertelange Tradition einer Frauendomäne erfuhr in zwei wesentlichen geschichtlichen Phasen eine radikale Zäsur, an deren Ende sich das Bild der wohltätigen Heilerin des Volkes in jenes der "Hexe" oder "Kurpfuscherin" ins Gegenteil verkehrte. Denn bereits ein Jahrhundert vor dem Ausbruch des Hexenwahns setzte sich die europäische Heilkunde als Säkularwissenschaft und Beruf durch, wobei Frauen ausdrücklich ausgeschlossen waren. Wie mehrfach wissenschaftlich belegt, schreibt auch Thomas Szasz in "The Manufacture of Madness", dass sich der neue Ärztestand an der Inquisition aktiv beteiligt hat. Obwohl diese Männer unwissend waren - ihre medizinische Ausbildung beschränkte sich anfänglich darauf, Platon, Aristoteles und die Werke des altrömischen Arztes Galenus zu studieren - wie Barbara Ehrenreich und Deirdre Englisch (Hexen, Hebammen, Krankenschwestern, 1975) angeben, genossen sie den Schutz der Obrigkeit, dienten der herrschenden Klasse, auf medizinischer, politischer und ökonomischer Ebene.

Auf der anderen Seite standen die Frauen, die ohne Obrigkeitskontrolle dem Volk halfen und ein Wissen aufwiesen, das - weil den Herrschenden fremd - als suspekt und Magie behaftet galt. Viele der damals von den Hebammen und anderen heilkundigen Frauen entwickelten Kräuterheilmittel haben heute einen festen Platz in der Pharmakologie und Homöopathie. Beispielsweise verdonnerte die Kirche das Mittel Ergot (Mutterkorn), das gegen Geburtsschmerzen verabreicht wurde, weil die Frau nach "Evas Erbsünde" unter Schmerzen zu gebären hätte. Heute sind Ergoderivate die gebräuchlichsten Präparate zur Beschleunigung der Wehen. Ebenso das krampflösende Belladonna, das angewandt wurde, um Gebärmutterkontraktionen zu verhindern, wenn eine Fehlgeburt drohte. Auch Methoden zur Verhütung und Abtreibung waren bekannt, die den Herrschenden zuwiderliefen.

Platz für die männliche Ärzteschaft

Während der vierhundertjährigen Inquisition wurden Frauen als "Hexen" angeklagt, weil sie heilten und halfen. So schreiben die Benediktiner Kramer und Sprenger, Verfasser des "Hexenhammers", aus dem Jahr 1484: "Niemand schadet der katholischen Kirche mehr als die Hebammen". Und weiter heißt es: "Wenn sich eine Frau anmaßt zu heilen, ohne studiert zu haben, ist sie eine Hexe und muss sterben". In diesem Sinne führt ein englischer "Hexen"-Jäger weiter aus: "Es wäre tausendmal besser um dieses Land bestellt, wenn alle Hexen, aber besonders die wohltätigen Hexen, den Tod erlitten" (zit. in Ehrenreich/English).

Die Verdrängung und Ermordung der heilkundigen Frauen erwies sich als überaus erfolgreich. "Die weibliche Heilkunde war tot; die männliche 'wissenschaftliche' Medizin ging als Siegerin hervor..." (G. Bekker, S. Bovenschen, H. Brackert, S. Brauner: Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenwahns, 1977). Und noch heute ist der Großteil der FrauenärztInnen männlichen Geschlechts, was aller Vernunft zum Trotz - immerhin befassen sich Gynäkologen mit Organen und Fähigkeiten, die ihnen selbst fremd, weil nicht zu eigen sind - als normal (auch von vielen Frauen selbst) betrachtet wird. Dass sich hinter dieser vermeintlichen Normalität etwas Anderes verbirgt, beweist die Aussage von E.J. Plotz, ehemaliger Chefarzt der Uni-Frauenklinik Bonn: "Die Frauenheilkunde sollte schon deshalb vorwiegend von Männern ausgeübt werden, weil nur ein Mann in der Lage ist, das Wesen der Frau ganz zu begreifen" (zit. in Hannelore Hauß: Das Weiberlexikon, 1996).

Männer wie Plotz sehen sich gerne als "väterlicher Freund", der Entscheidungen für die Patientinnen trifft, da sie selbst nicht dazu imstande seien. Statt Aufklärung erfahren die Frauen sehr oft Entmündigung. Eigenverantwortung und Eigenmacht gelten nahezu als verpönt. Und diese Entmachtung und Entmündigung hat Geschichte. (dabu)