Nurten Yilmaz (49): Landtags- abgeordnete der SPÖ Wien und seit Kurzem Präsidentin des Arbeiterschwimm- vereins.
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Das ist doch fortschrittlich, dass es in so einer Partei Platz gibt für eine wie mich", sagt Nurten Yilmaz. Da klingt keine Ironie mit und kein Zynismus. Yilmaz meint das ernst, und man hat den Eindruck, da schwingt so etwas wie Demut mit. "Eine wie mich" - damit meint sie ein Einwandererkind aus der Türkei, aus ärmlichen Verhältnissen, ohne besondere Bildung. Heute ist Yilmaz 49 Jahre alt, eine selbstbewusste Frau, seit 2001 Abgeordnete im Wiener Gemeinderat. "Die Augenhöhe ist eine andere, weil ich ein Mandat habe", sagt sie. Sollte es die Partei zulassen oder, besser noch, sollte es die Partei wollen, dann würde Yilmaz auch gerne für den Nationalrat kandidieren. Entscheidung ist noch keine gefallen.

Wenn sie einen Kugelschreiber aus der Handtasche fischt, ist es ein Bawag-Kugelschreiber, und wenn sie zum Handy greift, blitzt dort das Logo der SPÖ-Wien auf. Die Anstecknadel mit der roten Nelke, die sie vor ein paar Wochen für die 25-jährige Parteimitgliedschaft bekommen hat, würde sie jetzt auch gerne herzeigen, die hat sie aber gerade nicht mit.

Im Herbst 2002 hat Yilmaz bereits einmal für den Nationalrat kandidiert, sie war eine der so genannten "Migranten-Kandidatinnen", auch wenn ihre diese Bezeichnung nicht sonderlich recht war. "Nach fast 40 Jahren in Österreich muss das aufhören." Wahlgekämpft hat sie mit großer Leidenschaft. Am Schuhmeierplatz in Wien-Ottakring kam kaum jemand an ihr vorbei. Sie verteilte tausende Feuerzeuge, Kugelschreiber und Luftballons. "Und am 24. November, gelt, da mach ma dem Grauen ein Ende", das war einer ihrer Stehsätze. Und sie war sich sicher, "das wird sich ausgehen". Gereicht hat es schlussendlich aber nicht. Das lag weniger an ihr als an der SPÖ. Am 24. November 2002 hatte die SPÖ nämlich nur 36,5 Prozent erreicht, die ÖVP dagegen 42,3 Prozent. "Ich war irrsinnig enttäuscht", sagt Yilmaz, weniger natürlich wegen ihr selbst als wegen der Partei.

Den größten Karrieresprung hatte Yilmaz zu diesem Zeitpunkt aber schon hinter sich. "1997", setzt Nurten Yilmaz mit getragener Stimme an, "hat die SPÖ-Ottakring Nurten Yilmaz als Bezirksgeschäftsführerin eingesetzt." Punkt. "Das war ein großer Wurf", fügt sie als Erklärung in die entstandene Pause hinein. Und weil der Berichterstatter noch nicht ganz kapiert: "Ich kam in Söke auf die Welt. Ich bin ein Arbeiterkind."

Und die Bezirksorganisation Ottakring - so wichtig, so alt, so traditionsreich, das ist kaum zu beschreiben. Ein Standpfeiler der Partei. Und das ist noch nicht alles: Seit Kurzem ist Nurten Yilmaz auch Präsidentin des Arbeiterschwimmvereins. Darüber könnte man sich jetzt leicht lustig machen, aber das lässt Yilmaz gar nicht zu, weil auch das eine unglaublich traditionsreiche Einrichtung sei, gegründet immerhin schon 1909. "Ich bin dieser Bewegung etwas wert", fasst Yilmaz die Tragweite dieser Ereignisse zusammen. Und diese Bewegung ist ihr alles wert.

Als Nurten Yilmaz aus Söke, eineinhalb Autostunden südlich von Izmir, nach Wien kam, war sie neun Jahre alt. Ihre Eltern, die Mutter ohne Ausbildung und der Vater ein Schneider, waren bereits ein Jahr zuvor aufgebrochen, um Wohnung und Arbeit zu suchen. Frau Yilmaz kam als Schichtarbeiterin bei Philips unter, Herr Yilmaz "war eigentlich zu nichts zu gebrauchen", sagt seine Tochter. Er konnte nicht umlernen und die neuen Chancen nützen, immerhin fand er wieder Arbeit als Schneider. Nurten kam dann in einem August nach Wien, und einen Monat später saß sie, zurückgestuft in die dritte Klasse, in einer Volksschule im 15. Bezirk, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. An das Beten in der Schule kann sie sich erinnern, das war neu, und im Dezember fragte sie ihren Vater, warum so viele Menschen Bäume durch die Straßen tragen. Der Vater wusste es nicht, wie sich später herausstellte, wollte es aber nicht zugeben. In Wien kaufen die Menschen eben keine Blumen, sondern Bäume, erklärte er der Tochter. Die Yilmaz waren Muslime und nicht unbedingt ein Musterbeispiel an Integration.

Zu den folgenden Ostern konnte sich Nurten bereits mit ihrer Lehrerin unterhalten. In der Hauptschule dann der erste Kontakt zur Sozialistischen Jugend. Die jüngeren Brüder hatten sie zu einer Veranstaltung mitgenommen, bei der über Internationalismus diskutiert wurde. "Das hat mich interessiert." Während die Brüder bald wieder andere Interessen hatten, blieb Nurten eifrig dabei. "Plakatieren, Fackelzüge, ich bin immer mitgegangen."

Und dann die "echte Politik": Schülerfreifahrten, neue Schulbücher, Nurten hat sich engagiert, "und es war faszinierend, Forderungen zu erheben und zu sehen, wie sie umgesetzt wurden". Der erste Kontakt mit den Sektionen der SPÖ: "Schlecht behandelt wurde ich schon, aber nur weil ich bei der SJ war und so sekkant, nicht weil ich eine Frau und aus der Türkei war."

Schließlich die SPÖ-Frauen. "Töchter können mehr." Nurten Yilmaz hat dieses Motto aufgesogen. Sie war das erste und zwei Jahre lang das einzige Mädchen an der Fachhochschule für Elektrotechnik. "Politik hat mir Selbstvertrauen gegeben." Job hat sie dann keinen gefunden. Weil die Wirtschaft nicht vorbereitet war: keine getrennten Garderoben, keine getrennten Toiletten. Also musste sie ausweichen und fand einen Job bei der Gebietskrankenkasse in der Datenverarbeitung. Wurde Gewerkschaftsmitglied. Und stieg in der Partei auf, wurde Bezirksrätin, Gemeinderätin - und wurde geschieden. An einem Freitag wurde die erste schwarz-blaue Bundesregierung angelobt, am Samstag ist sie ausgezogen - "also war das 2000", rekapituliert sie. Inneren Zusammenhang gab es keinen.

Zwei Töchter hat sie, 16 und 26, und beide sind in der SPÖ engagiert, die eine bei der SJ, die andere in der Sektion Ottakring - in jener berühmten und traditionsschweren Institution, der auch schon die Mutter dienen durfte.

Nurten Yilmaz ist mit der Partei im Reinen. "Rundum zufrieden", sagt sie. Das sagt sie vielleicht nur deshalb, weil sie auf die Bundesregierung so zornig ist, da bleibt kein Raum für Groll gegen die eigene Bewegung. Alfred Gusenbauer? "Passt." Wahlchancen? "Ich hoffe." Ganz sicher ist sie sich aber nicht. Die SPÖ müsse auf jeden Fall in die Regierung, und das tut ihr jetzt weh zu sagen: "Auch als Zweite." Weil was von Schwarz-Blau schon an Schaden angerichtet wurde - "so kann es nicht weitergehen". Und das ist ihre ehrliche Überzeugung. (DER STANDARD, Print, 29./30.4.2006)