Foto Plakat /möwe
Wien - Für die PlakatgestalterInnen von der Wiener Agentur Publicis symbolisiert die Gummipuppe mit dem aufgerissenen Mund "ein Kind, das als seelenloses Spielzeug verwendet wird". Der Kinderpsychiater Max Friedrich hingegen erkennt in dem neuen Werbesujet des Vereins "die möwe"- der bundesweit minderjährige Missbrauchsopfer betreut - nur "die Bedienung eines pathologischen Bedürfnisses: des Fetischismus".

Dieser werde laut dem ICD-Verzeichnis der Weltgesundheitsorganisation als "psychische Erkrankung" gewertet. Bilder fetischistisch besetzter Gegenstände - noch dazu solche mit kindlicher Anmutung - seien für eine Antimissbrauchskampagne absolut ungeeignet, betont Friedrich. Am Dienstag legte er deshalb seine "möwe"-Funktionen zurück. Ab sofort stehe er weder dem wissenschaftlichen Beirat noch als Obmann des Vereins "möwe science"zur Verfügung.

Ethische Grenzen vonnöten

Im Gegensatz zur Freiheit der Kunst müsse "die Freiheit der Werbung ethische Grenzen haben", sagt Friedrich. Außerdem: "Welchen Nutzen hat ein wissenschaftlicher Beirat, wenn er vor der Entscheidung für ein derart obszönes Sujet nicht einmal informiert wird?" Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits teilt seine Ansicht. Fachlichkeit müsse vor "Effekthascherei" gehen.

Auch der Psychoanalytiker Alfred Pritz, der wie Friedrich im "möwe"-Beirat und im Subverein sitzt, wäre vor dem Start der "Love Doll"-Kampagne gern konsultiert worden. Doch er glaubt nicht, dass das Plakat "in irgendeiner Form animierend wirkt". Das Sujet sei "grauslich", aber: "Ich will mich nicht ins Marketingkonzept dieses äußerst verdienstvollen Vereins einmischen. "Vielleicht - so Pritz - löse die Gummipuppendarstellung ja auch "wichtige Diskussionen über Missbrauch und die Rolle der Werbung" aus.

Auf diese Chance setzt auch "möwe"-Geschäftsführerin Monika Fasslabend. Nach 17 Jahren Anti-Missbrauchsarbeit habe sie sich bewusst für "etwas Aufrüttelndes"entschieden. Friedrichs Rücktritt bedauert sie sehr, die 2500 Plakate jedoch würden "wie geplant ab 13. Juli bundesweit affichiert". (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe 05.07.2006)