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Es war ein Streich, ein Scherz, eine unbedachte Handlung, nicht mehr. Die vierzehnjährige Erika Riemann "verzierte" im Herbst 1945 ein Stalin-Porträt, das neuerdings jenes von Hitler in den Klassenzimmern ihrer Schule abgelöst hatte, mit einer aufgemalten Schleife. "Du siehst ja ziemlich traurig aus", sagte sie beim Zeichnen mit dem Lippenstift rund um den Schnauzbart. Jemand muss sie verraten haben, denn etwa ein Jahr später wurde sie verhaftet und per Lastwagen abtransportiert.

Ganze acht Jahre - 1946 bis 1954 - musste sie für diese Lappalie büßen, und es kommt einem Wunder gleich, dass sie die lange Zeit der Haft in Gefängnissen und Lagern wie Bautzen, Sachsenhausen und Hoheneck überlebt hat. Demütigungen, Folter, Vergewaltigung, extremer Hunger und die Plage mit Ungeziefer standen auf der Tagesordnung der als "Feindin der Sowjetunion" ausgewiesenen Jugendlichen.

Erst mit über siebzig Jahren schaffte es Erika Riemann ihre schreckliche Geschichte aufzuschreiben. Ein ungeschönter Bericht über die vielen Stationen der Gefangenschaft, der Befreiung und der Jahre danach als junger Frau im deutschen Wirtschaftswunder, der ein erschütterndes persönliches und zugleich wertvolles politisches Dokument der russischen Besatzungszeit liefert. (dabu)