Martha Grimes erstaunt einmal mehr mit der Beschreibung der britischen Lebens- und Seinsarten, die ihr aus dem fernen New Mexico gelingen.
Buchcover
Wien - Rund 25 Jahre währt die Verbindung der amerikanischen Krimiautorin Martha Grimes mit ihrem Protagonisten, dem britischen Superintendent Richard Jury von New Scotland Yard, bereits. "Karneval der Toten" ist der neue Roman der Reihe, der in gewohnter Manier im Ambiente kunstvoller englischer Gärten und feiner Landsitze spielt. Auch alte Bekannte aus den früheren Büchern, wie der Adelige Melrose Plant oder Detective Sergeant Alfred Wiggins, sind wieder dabei. Nicht unbedingt der allerspannendste Pageturner, aber doch ein typisches Grimes-Werk auf hohem Niveau.

Schickalsverbunden

LeserInnen, die mit "Karneval der Toten" erstmals in die Welt des attraktiven und ebenso intelligenten wie charmanten Polizeibeamten treten, haben vermutlich rasch das Gefühl, in so etwas wie eine Familie zu stoßen. Natürlich keine konventionelle, denn verwandt ist hier niemand miteinander, eher schicksalsverbunden. Jury selbst wuchs als Vollwaise bei einem Onkel auf, mit einer Cousine als Gefährtin. Gleich zu Beginn des neuen Romans, quasi als Draufgabe zum ersten Mord auf den ersten Seiten, erfährt er vom Tod jener Cousine.

Überbringer der traurigen Nachricht ist Wiggins, treuer Gefährte Jurys und stets mit einer Tasse Tee zur Stelle, wenn es irgendwie ungemütlich zu werden droht. Und die hat Jury diesmal bitter nötig, denn die Botschaft vom Ableben der letzten Verwandten folgt unmittelbar auf den Mord an einem kleinen Mädchen, keine sechs Jahre alt. Sie ist nicht identifizierbar, und erst nachdem eine zweite, diesmal erwachsene Leiche auf einem Gut namens "Angel Gate" in Cornwall aufgetaucht ist, kommen die Ermittlungen so richtig ins Laufen.

Schwer zu überführender Kinderschänderring

Zu Hilfe eilt wie in früheren Fällen ein Freund Jurys, Melrose Plant, der Achte Earl von Caverness und Zwölfte Viscount Ardry, der jedoch gern tiefstapelt und seinen Titel verschweigt. Diesmal ist er als Experte für verschmockte Cloisonne-Gartenbeete gefragt, der sich auf Angel Gate ein wenig umsehen soll.

Der Fall scheint lange vertrackt, und einige epische Längen, in denen Jury gar viel über die Unzulänglichkeiten des Daseins sinniert, erstrecken sich so auch über manche Seiten des Buches. Dabei hat Jury es tatsächlich eilig, diesen Fall zu lösen. Denn es geht um das Leben einiger kleiner Mädchen, die eingesperrt in einem Haus, das ein raffinierter und schwer zu überführender Kinderschänderring betreibt, ein entsetzliches Leben führen müssen.

Gehörige Leistung

Solche widerlichen Verbrecher dingfest zu machen, schien auch Autorin Grimes vordringlich, denn erst danach entfaltet sich der Plot, als Jury während einer Zugfahrt ein fremdes Kind beobachtet und dabei einen die Ermittlungen betreffenden Gedankenblitz erfährt. Am Ende geht es wieder ins Stamm-Pub "Jack and Hammer", wo Jury seine Freunde und andere aus Jury-Romanen bekannte Personen trifft. Übrigens nennt Grimes alle Bücher der Reihe in den englischen Originalausgaben nach real existierenden Pubs. Dieser etwa heißt "Winds of Change".

"Die seltsamen Namen von Pubs können tatsächlich den Dreh- und Angelpunkt einer Geschichte bilden, weil sie so viel von der Atmosphäre vermitteln", meinte Grimes in einem Essay.

Insgesamt ein solider klassischer Krimi, den man aber besser nicht als Einstiegswerk in die Jury-Reihe liest. Zu sehr werden die Personen um Jury als bekannt voraus gesetzt. Andererseits vermag Grimes sie in ihren schrulligen, englischen Eigenarten immer besser zu beschreiben, und das ist schon eine gehörige Leistung für eine Amerikanerin, die in New Mexico lebt. (Von Barbara Freitag/APA)