Credit: Radikales Nähkränzchen
Foto: Radikales Nähkränzchen
Credit: Radikales Nähkränzchen
Wie bitte, ein radikales Nähkränzchen? "Was soll an Nähen und Sticken schon subversiv sein?", hätte noch vor zehn Jahren die Antwort auf ein Zusammendenken von traditioneller Handwerkskunst und Feminismus gelautet. Doch mittlerweile findet der in den USA losgetretene craftivism , also die aktivistische Aneignung von Handwerk, in der ganzen Welt NachahmerInnen. Vom "do it yourself" (DIY) für Lifestyle-IndividualistInnen bis zur Selbstverteidigung gegen den ungerechten globalen Markt reicht die Interpretation über die selbstbestimmte Arbeit mit Nadel und Faden, Schere und Hammer. Seit Herbst 2005 gibt es auch in Innsbruck ein "radikales Nähkränzchen". Ein Bericht von Ina Freudenschuß über die innovative Freude, "Fakten zu sticken".

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"Natürlich braucht es Geduld, aber im Prinzip ist es ganz einfach". Für Barbara hat die Handarbeit mit dem Kreuzstich geradezu etwas "meditatives", wie sie im Gespräch mit dieStandard.at erklärt. Gemeinsam mit drei anderen jungen Frauen hat sie vergangenes Jahr die Gruppe "radikales Nähkränzchen" in Innsbruck gegründet. Anlass dazu war die Ausstellung "home sweet home", in der (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum thematisiert werden sollte. Die Aneignung und Verwendung von Handarbeit als traditionell weiblicher Tätigkeit, die im privaten stattfindet, schien geradezu prädestiniert, die wirkungsvollen Grenzziehungen zwischen öffentlich und privat zu durchschreiten.

Das "radikale Nähkränzchen" schuf ein "trautes Heim" der etwas anderen Art, denn darin sprachen die selbstgemachten "Einrichtungsgegenstände": Zum Beispiel, dass jede fünfte Frau in ihrem Leben von Gewalt im sozialen Nahbereich betroffen ist. Ihre Arbeiten sehen die Aktivistinnen durchaus als Statement zur aktuellen Frauenpolitik: "Vieles, was derzeit als solche gehandelt wird, ist ja eigentlich Familienpolitik. Die Familie als privater Bereich soll geschützt werden, während das Öffentliche den Anschein des 'Gefährlichen' bekommt." Dies sei eine Widersprüchlichkeit gerade im Bezug auf die Realität von Frauen, wie die Gruppe findet.

Mädchenkultur

Nicht zuletzt geht es beim Aufgreifen von klassisch weiblichen Tätigkeiten wie Nähen, Sticken und Stricken auch darum, die als "Mädchenkultur" verbrämten Lebenszusammenhänge aufzuwerten bzw. neu zu definieren. Eine Strategie, die in den großen feministischen Popmagazinen in den USA bereits seit Jahren propagiert wird. Zeitschriften wie "Bust" oder "Venus" sind voll mit Bastelanleitungen, Porträts von "knitting-circles" und Anzeigen von DIY-Modelabels. Erfinderin und Herausgeberin von Bust, Debbie Stoller, gründete im Jahr 2000 die erste "stitch'n'bitch"-Gruppe und hat mit ihren Büchern "The Knitters Handbook" und "Stitch'n'Bitch Nation" eine wahre Strick-Revolution bei ihren jugendlichen Leserinnen ausgelöst. Grundtenor der Craftivistas, Austin craft mafias und wie sie alle heißen: Gebrauche deine Hände, um kreativ zu sein und schlag damit Materialismus und passivem Konsum ein Schnippchen. Die Grenzen zwischen trendiger Lifestyle-Distinktion, kommerziellen Interessen und politischen Forderungen sind dabei nicht immer eindeutig zu ziehen.

Das Label craftivism ist demnach so vieldeutig, wie die Gruppen, Online-Foren und Blogs, die es für sich beanspruchen. Auf die politische Zielsetzung seiner Aktivitäten legt beispielsweise der "revolutionary knitting circle" großen Wert. Die in Kanada gegründete Gruppe, von denen es inzwischen auch in den USA und Europa zahlreiche Ableger gibt, veranstaltet u.a. "global knit-ins" in globalisierungskritischen Zusammenhängen und animiert, mit selbstgefertigten Gütern alternative Märkte innerhalb der eigenen Gemeinschaften aufzubauen. Ein weiteres Beispiel für die poltische Nutzung von Craftivism ist die Arbeit der in London ansässigen "Threadymade"-Beitreiberin Sonja Todd. Ihre Kreuz-Stichaktion für die Reform des Wahlrechts in der Downing Street lief unter dem Motto: "Make my stitch count".

Austausch von Fähigkeiten

Vielen Projekten gemeinsam ist der Wunsch, die eigenen Fähigkeiten mit Gleichgesinnten auszutauschen. Auch beim "radikalen Nähkränzchen" gibt man Anleitung für das Erlernen von Stricken und Nähen - gerne auch Männern. In den Workshops herrscht jedenfalls kein Imperativ zur politischen Agitation: "Jede/r soll sticken, was er/sie will". Wenngleich frau natürlich hofft, dass der Griff zur Nadel auch einen "Denkprozess" in Gang setzt, fügt Barbara abschließend hinzu.